Bericht vom 22. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 05.01.22
Der erste Prozesstag in diesem Jahr begann in gewohnter Manier um 09:40 Uhr etwas verspätet. Die Verteidigung bat darum, Anträge, Gegenvorstellungen und Erklärungen zu verlesen und im Anschluss wurde Lucas Wolfgang Zahner, einer der geschädigten Neonazis aus Wurzen, vernommen. Der Vorsitzende verhielt sich erneut respektlos gegenüber der Verteidigung und speziell einer Verteidigerin. Der Zeuge widersprach sich mehrfach selbst, wobei der Eindruck entstand, er würde den Senat an der Nase herumführen. Weiterhin gibt die Mitgliedschaft selbsterklärter Monarchisten bei den Jungen Nationalisten (Jugendorganisation der NPD) in der Verhandlung Rätsel auf.
Die erste Erklärung der Verteidigung bezog sich auf die Videoauswertung aus dem Regionalexpress 50 von Dresden nach Leipzig über Wurzen nach dem jährlich im Februar stattfindenden sogenannten “Trauermarsch” zahlreicher Faschisten und Geschichtsrevisionisten in der Landeshauptstadt. Anhand des Materials soll eine beschuldigte und eine angeklagte Person im hiesigen Verfahren identifiziert worden sein. In den Fokus gerieten sie angeblich, weil sie sich konspirativ verhalten haben sollen. Die Verteidigung erklärte ausführlich, warum das Verhalten der Personen keineswegs konspirativ ist und stellt heraus, dass sich die angeblich identifizierten Personen nicht für das Geschehen im Zug oder auf den Bahnsteigen interessierten und forderte weitere Videobeweise an, um dies weiter zu belegen.
Die folgenden Erklärungen hatten die Hausdurchsuchungen bei zwei Angeklagten zum Thema, zum einen ging es um die rechtliche Grundlage der Beschlagnahmung diverser Asservate, zum anderen auch um die Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände. Diesen Erklärungen wurde sowohl von Staatsanwältin Geilhorn, als auch von dem Vorsitzenden widersprochen und es kam zu einer Auseinandersetzung, in der sich letzterer erneut beleidigend und respektlos gegenüber einer Verteidigerin zeigte: Er habe den Eindruck, sie mache so etwas zum ersten Mal und würde propagandistisch argumentieren.
Das Verhalten wurde von den anderen Verteidiger:innen scharf kritisiert und als Rückfall bezeichnet. Die Verteidigung agiert als Sockelverteidigung. Das bedeutet sie arbeiten kollektiv und wenn eine von ihnen angegriffen wird, ist dies ein Angriff auf alle Verteidiger:innen.
Im Anschluss verlas ein Verteidiger eine Gegenvorstellung zum richterlichen Beschluss bezüglich der Fragen, die zum von der Soko LinX konstruierten Modus Operandi (nicht mehr) gestellt werden dürfen.
Die ermittelnden Behörden nutzen den sogenannten Modus Operandi als Hilfsmittel, um eine Vereinigung zu konstruieren. Alle beteiligten Ermittlungsbehörden, sowohl Polizei als auch Bundesanwaltschaft, beziehen sich auf den Modus Operandi, weshalb allein darum die Frage danach zulässig und verfahrensrelevant ist. Die Konstruktion der Vereinigung ist ein Werturteil seitens des GBA und die Fragen nach dem Weg zu diesem Werturteil sind für die Verteidigung notwendig. Diese muss die Ermittlungshypothese(n) prüfen und angreifen können, vor allem sofern es keine Alternativhypothesen gibt. Die Art und Weise, wie hier ermittelt wurde, subsumierte der Verteidiger als den „Pygmalion-Effekt“, wodurch vorweggenommene Erwartungen die nachfolgende Einschätzung entsprechend der Erwartungen bestätigen.
Der Vorsitzende widersprach und erklärte, die angenommene Vereinigung basiere nicht auf der Einschätzung eines Modus Operandi und dieser “tue hier weiter nichts zur Sache”.
Hierauf erwiderte ein weiterer Verteidiger, dass die Inschutznahme der Polizei durch den Vorsitzenden besser zu ertragen wäre, wenn Suggestiv-Behauptungen der Polizei auch einmal ausgewogen kommentiert werden würden.
Anschließend wurde die Verhandlung unterbrochen, um auf den nächsten Zeugen zu warten.
Nach der Unterbrechung versuchte der Vorsitzende einen Kompromissvorschlag bezüglich eines Beweismittels, welches die Verteidigung nicht in die Verhandlung aufnehmen will, kundzutun. Hierbei handelt es sich um Notizen zu einem privaten Brief, aus dem er lediglich ein paar Zeilen streichen möchte. Die Verteidigung kündigte an, sich dazu erneut zu äußern.
Darauf folgend wurde der 27-jährige Lucas „Lulu“ Wolfgang Zahner in den Saal gerufen, mit seiner Ankunft setzte sich ein Neonazi Kamerad des Zahner in den Zuschauer:innenraum.
Zunächst schilderte Zahner, dass er sich mit Ben Heller, Benjamin Schwelnus und Cedric Scholz um 11: 00 Uhr in Wurzen verabredet habe, um gemeinsam nach Dresden zu fahren; die anderen Mitfahrer habe er nicht gekannt. Der Vorsitzende überhörte hierbei offensichtlich die Aussage, dass Cedric Scholz Teil der Gruppe gewesen sei und musste von der Verteidigung darauf hingewiesen werden. Es stellte sich im Nachgang heraus, dass Scholz die komplette Organisation der Fahrt übernommen habe und eine führende lokale Persona der faschistischen Szene sei. Die Demonstration in Dresden sei ruhig verlaufen und es hätte kaum Zwischenfälle gegeben, die Polizei hätte alles gut gesichert. Nach der Demonstration soll Scholz erklärt haben, dass der erste Zug „ihrer“ sei, womit er die Teilnehmenden an der Nazidemo gemeint habe. Zahner gab an, dass in dem Zug keine Gegendemonstrant:innen gesessen haben, es hätte nur eine Person gegeben, die sich komisch verhalten hätte.
Auf die Frage, ob er Enrico Böhm kenne, antwortete der Zeuge zunächst mit „gar nicht“. Es stellte sich jedoch heraus, dass Zahner noch am selben Abend eine Sprachnachricht an Böhm geschickt habe. Diese Information stamme aus dem Telefon Böhms, welches aufgrund von Ermittlungen gegen selbigen, beschlagnahmt und durch das LKA ausgewertet wurde. Zahner meinte, dies könne eine Nachricht an eine Threema-Gruppe, für die Cedric Scholz die Administratorenrechte habe, gewesen sein. Der Vorsitzende pochte jedoch darauf, dass es sich um ein WhatsApp-Format gehandelt habe. Zahner konnte oder wollte nichts betreffend eines direkten Kontakts zu Böhm sagen, ruderte jedoch zurück und gab an, ihn zu kennen.
Auf Fragen in Bezug auf seine politische Überzeugung wollte Zahner zunächst keine Antwort geben, wurde jedoch belehrt, dass er diesbezüglich antworten müsse. Er gab an, dass er Mitglied der JN sei und deren Idee sei es, Deutschland zu verändern. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob es auch Monarchisten innerhalb der Gruppe gäbe, sagte Zahner „gar nicht“ und es überrasche ihn, dass Heller angegeben habe, einer zu sein.
Dann schilderte Zahner das Geschehen am Wurzener Bahnhof und berichtete, dass er gesehen habe, wie „Matscher“ (Mathias Leder) angegriffen worden sei, er selbst versucht habe, wegzurennen und letztlich dennoch niedergestreckt worden sei. Beim Angriff sei ihm seine schwarz-weiß-rote Fahne entzogen worden. Der Vorsitzende wollte wissen, welche Bedeutung diese Fahne habe, was Zahner erneut nicht beantworten wollte. Nach zähem Nachfragen stimmte er zu, dass sie auch als Symbol für die Nazizeit herhalte. Zudem gab er an, dass einer der Angreifer zu ihm gesagt habe: „Lulu, das ist deine Rache“. Aus dieser Aussage schloss er, dass es sich um seinen „Ausstieg“ aus der Punkrockszene und sein Überlaufen zu den Nazis handeln würde, da er mehrfach hierfür kritisiert wurde. Er wäre 14-15 Jahre in der Punkrockszene aktiv gewesen, habe in einer Band gespielt und sich viel in Wurzens alternativem Treffpunkt “D5” aufgehalten.
Da die Vernehmung schleppend und anstrengend verlief, wurde sie durch die Mittagspause unterbrochen.
Während der gut einstündigen Pause mussten die Prozessbegleitenden den Platz vor dem Gerichtsgebäude verlassen, weil einige solidarische Menschen vorhatten bei derart niedrigen Temperaturen, Tee zu verteilen. Dies bedürfe laut anwesender Bereitschaftspolizei einer Genehmigung.
Nach der Pause wechselte die Belegschaft auf der Nebenklagebank, RA Tripp, welcher bis dahin im Saal war, kam nicht zurück und RA Frank Hannig war nun anwesend. Zudem setzte sich ein anderer Faschist, ebenfalls ein Wurzener Kamerad des Zeugen Zahner, mit ins Publikum.
Die Vernehmung wurde mit Fragen zu seinem „Ausstieg“ fortgesetzt. Er sei 2018 aus der Punkrockszene ausgestiegen, da er nichts mit politischen Leuten “der Antifa” zu tun haben wollte. Im Anschluss nannte er eine Reihe von Personen, die er verdächtigte, an dem Angriff auf ihn beteiligt gewesen zu sein. Hierzu teilte er seine eigenen Einschätzungen zu deren Radikalisierung mit und erklärte, dass auch andere Personen Vermutungen zu deren Beteiligung am Angriff geäußert hätten. Er habe auch noch Kontakt zu Personen, die sich weiterhin in der D5 aufhalten würden und Kontakt zu eben diesen Leuten hätten.
Als die Verteidigung die Befragung übernahm, wollte sie wissen, ob Zahner unmittelbar nach dem Ausstieg aus der Punkrockszene Nationalist geworden ist. Dies verneinte er, er sei Patriot. Auf die verwirrte Nachfrage, ob JN nicht Junge Nationalisten bedeutet, hatte Zahner nichts mehr zu sagen. Der Nebenklagevertreter Hannig versuchte bei dieser Befragung zu intervenieren und wurde aufgeklärt, dass vor seinem Erscheinen schon bestätigt wurde, dass der Zeuge Mitglied der JN ist. Hannig musste sich daraufhin für seine völlig unangebrachte Intervention bei RA Zünbül entschuldigen.
Danach wurde der Zeuge nach Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gefragt, die gegen ihn laufen oder liefen. Zunächst behauptete dieser, es gäbe keine Verfahren. Auf mehrere Nachfragen behauptete er, es gäbe doch Verfahren, er wisse jedoch nicht mehr, warum. Ihm fiel dann lediglich ein Verfahren wegen Beleidigung eines Beamten bei einer Demonstration gegen die Coronaschutzmaßnahmen ein. Die Verteidigung gab daraufhin weitere Hinweise zu anderen Verfahren und er erwiderte, es gäbe wohl ein Verfahren wegen des Fundes von „explosionsgefährlichen Stoffen“ bei einer Razzia. Außerdem hätte er 2020 mal in der Innenstadt randaliert, Mülltonnen beschädigt, Aufkleber zum Dresdengedenken an Hausfassaden geklebt. Zudem wurde er wegen eines Angriffs auf das vormals schon mehrfach erwähnte D5 angezeigt und erhielt deswegen auch einen Strafbefehl.
Zum Abschluss ging es noch einmal um Zahners Bekanntschaft mit Böhm und es wurden Bilder aus dem Zug gezeigt und erfragt, ob er ihn da erkenne, was der Zeuge bejahte. Auf den Bildern war deutlich zu sehen, dass Böhm mit ihm und seiner “Reisegruppe” gesprochen hat. Er habe gesagt, dass sie beim Rausgehen aufpassen und gucken sollen, ob da Linke sind und dann “Meldung machen”.
Um 15:35 wurde der Zeuge unvereidigt entlassen. Ein Ordnungsgeld für das Nichterscheinen beim letzten Mal muss er trotzdem zahlen.
Anschließend ging es noch um die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus den Hausdurchsuchungen, gegen die die Verteidigung Widerspruch einlegte. Der Vorsitzende bat OStA Geilhorn von der Bundesanwaltschaft ihre „kurzen und knackigen“ Stellungnahmen zu verlesen. In diesen Stellungnahmen widersprach sie vier Anträgen der Verteidigung aus dem Dezember, in denen vor allem die Hinzuziehung von Zeug:innen zu verschiedenen Tatkomplexen gefordert wurde.
Um 16:00 war der Prozesstag beendet. Die Verhandlung wird am 06.01.22 um 09:30 Uhr am OLG Dresden fortgesetzt.