Bericht vom 43. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 07.04.22
Am 43. Prozesstag erfolgte die Zeug:innenvernehmung eines weiteren Beamten (M. Hackbarth) aus der JVA Castrop-Rauxel zur Stimmen-Identifizierung. Neben viel Streit zwischen Gericht und Verteidigung sowie diversen Anträgen, Beanstandungen und Zurückweisungen erfolgte die Vernehmung des Kriminalhauptkommissars des LKA (D. Mathe) bezüglich Observationsmaßnahmen.
Der Prozesstag begann mit Verspätung. Der vorsitzende Richter Schlüter-Staats merkte an, dass eine geladene Zeugin erkrankt sei und somit wurde mit der Zeugenbefragung des JVA-Beamten Hackbarth begonnen.
Erster Zeuge: JVA-Beamter M. Hackbarth
Nachdem der JVA-Beamte Martin Hackbarth, 33 Jahre, am 38. Prozesstag als Zeuge wegen Corona verhindert war und somit bislang nur seine Kolleg:innen Rubert und Rüping vernommen wurden, wurde seine Zeugenbefragung nun nachgeholt. Kontext war auch hier die Identifizierung einer Stimme aus einem Gespräch, das aus einer Innenraumüberwachung in einem PKW stammte. Der vorsitzende Richter befragte Hackbarth daher zu seinem Kontakt zu einem im Verfahren Beschuldigten, als letzterer 2019 in der JVA Castrop-Rauxel inhaftiert war. Der JVA-Beamte Hackbarth sei zwar nicht der zugeteilte Betreuer der Gefangenengruppe gewesen, welcher der Beschuldigte zugeordnet war, gab aber an, dennoch am Arbeitsplatz viel und regelmäßigen Kontakt sowie Gespräche mit dem Beschuldigten gehabt zu haben, die über die Kontrollen am Morgen und am Abend hinausgegangen seien.
Wie bei den zuvor befragten JVA-Beamt:innen sollte die Befragung schließlich auf die Vorführung von Tonaufnahmen zwecks Stimmerkennung durch den Zeugen hinauslaufen. Dennoch führte der vorsitzende Richter eine ausführliche Befragung zum Haftablauf und -alltag des Beschuldigten sowie zu dessen Charakter durch, wozu Hackbarth von seinem Eindruck berichtete. So ging der Zeuge auch auf die Haftausgänge und die Haftbesuche durch Angehörige ein – worüber Hackbarth selbst jedoch mehrheitlich nur auf Grundlage der Gefangenenakte mutmaßen konnte.
Anschließend kündigte der vorsitzende Richter an, dass er Hackbarth zwecks Stimmerkennung sechs Tonaufnahmen vorspielen wolle. Die Verteidigung forderte ein, dass der Zeuge zuvor unbeeinflusst von den Hörbeispielen allgemein zu seiner eigenen Erinnerung an die Stimme des Beschuldigten aussagen solle. Zeuge Hackbarth betonte, dass er sich sehr gut an die Stimme des Beschuldigten erinnern könne, begründet durch deren “hohen Wiedererkennungswert”. Er erinnere sich an eine „quäkige“, nicht so tiefe Stimme, eine gute Ausdrucksweise und ein unauffälliges – weder schnelles noch langsames – Sprechtempo. Auf Nachfragen der Verteidigung konnte der Zeuge keine konkreten Merkmale eines Dialekts oder markante Worte benennen, er erklärte, dass man diesen eben erkenne.
Zu seinen Ausführungen zur Stimme merkte Hackbarth an, dass er sich noch gut an die “Experimente“ erinnern könnte, die Johannes Junghanß (Kriminalkommissar bei der Soko LinX) mit ihm durchgeführt habe – also die polizeiliche Zeugenvernehmung, bei der dem JVA-Beamten bereits mehrere Tonaufnahmen verschiedener Stimmen zwecks Stimmerkennung in dieser Sache vorgespielt wurden. Diese Vernehmung habe in Hackbarths Privatwohnung stattgefunden, von der Befragung seines Kollegen habe er selbst jedoch aufgrund räumlicher Trennung nichts mitbekommen. Er räumte ein, dass für ihn damals schon im Vorhinein klar war, dass es bei der Stimmerkennung mithilfe der Audiodateien um den genannten Beschuldigten gehen würde, da sich die Vernehmung durch die Polizei um diesen drehte. Auf die Fragen der Verteidigung, ob und inwiefern seine bereits befragten Kolleg:innen Rubert und Rüping ihm vor dem heutigen Tag schon etwas zum Ablauf hier im Gerichtssaal erzählt hätten, antwortete Hackbarth, dass die Bereichsleiterin Frau Rüping ihn darüber informiert habe, dass ihm hier wieder Tonaufnahmen vorgespielt werden würden.
Der vorsitzende Richter verfügte das Abspielen der Tonaufnahmen, woraufhin die Verteidigung der Beweiserhebung und -verwertung der Tonaufnahmen zur Stimmidentifikation erneut widersprach. Es folgte ein Wortgefecht bezüglich dieser Beanstandung und zu der Rechtsauffassung zum Thema Innenraumüberwachung, der Zeuge Hackbarth wurde solange vor die Tür gebeten. Die Verteidigung verwies auf den Beschleunigungsgrundsatz bei Gerichtsverfahren, welchem durch die Verwertung offensichtlich untauglicher Beweise zuwider gehandelt wird. Dies ist insbesondere zu kritisieren, da Lina nach wie vor in Haft sitzt. Die Beanstandung wurde vom Vorsitzenden zurückgewiesen, mit Verweis auf bereits früher genannte Gründe. Die Verteidigung forderte hierzu einen Gerichtsbeschluss.
Die solidarischen Zuschauer:innen verließen den Saal und machten deutlich, dass sie derartige Eingriffe in die Privatsphäre von Menschen und Unbeteiligten ablehnen und dementsprechend nicht an dem Vorspiel teilhaben wollten.
Sodann wurden dem Zeugen Hackbarth die Tonaufnahmen laut vorgespielt, was etwa eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Hackbarth sagte aus, auf zwei Aufnahmen den Beschuldigten erkannt haben zu wollen und dass er sich sicher sei, dass die Aufnahmen ihm auch schon bei der polizeilichen Vernehmung vorgespielt worden seien.
Die Verteidigung widersprach im Anschluss erneut explizit der Verwertung der in Augenschein genommenen Innenraumaufnahmen sowie der Stimmidentifikation durch den Zeugen. Wie auch schon bei den Zeugenbefragungen der anderen JVA-Beamt:innen wurde von der Verteidigung hierbei auf die generelle Unverwertbarkeit aller im Rahmen der Innenraumüberwachung aufgenommenen Gespräche verwiesen.
Der vorsitzende Richter führte daraufhin für die „nicht rechtskundigen Zuschauer“ sinngemäß aus, dass man sich von den Einwänden der Verteidigung nicht beirren lassen solle und der Senat selbstverständlich nach bestem Gewissen handeln würde. Nicht nehmen ließ er sich, Herrn Roxin, einen Rechtswissenschaftler, gegen den Gegenwind der Verteidigung zu rezitieren: “Wenn das Gericht Fehler macht, so notieren sie still Ihre Revisionsgründe“.
Die Verteidigung erwiderte, dass eben dieser Rechtswissenschaftler auch für den vom Vorsitzenden so oft übergangenen Unmittelbarkeitsgrundsatz einsteht.
Nach einer Pause ging es ohne den Zeugen weiter. Auch Nebenklageanwalt Kruppe/Tripp kehrte nicht in den Saal zurück. Die Verteidigung kündigte einen Beweisantrag bezüglich der Observation bzw. Gefahrenabwehr (Brian Engelmann) an, um die am gestrigen Prozesstag offensichtlich aufgetretenen Lücken zu füllen. Des Weiteren wurde von Seiten der Verteidigung kritisiert, dass der Senat auf Beschlüsse zu diversen Anträgen der Verteidigung bereits seit mehreren Monaten warten lässt – so zum Beispiel beim Beweisantrag zum Thema iPod oder zum Thema Mobilfunkabdeckung im Zug (Tatkomplex Wurzen II), welche bereits Ende 2021 gestellt wurden. Der vorsitzende Richter vertröstete nochmal.
Anschließend machte die Verteidigung eine Erklärung nach § 257 StPO zu der vorangegangenen Einlassung Hackbarths: So beinhalteten die von ihm dem Beschuldigten zugeordneten Aufnahmen mehrere Signalwörter, die nahelegen, dass der Zeuge die Aufnahmen aufgrund inhaltlicher Auffälligkeiten zuordnete, nicht aufgrund der Stimme des Beschuldigten. Darüber hinaus war die vom Zeugen ausgewählte Stimme jene, welche mit Abstand die lauteste Stimme und auch die mit der längsten Sprechdauer war. Die Verteidigung erklärte – und verwies auf eine vom vorsitzenden Richter selbst getätigte Aussage vom 38. Prozesstag – dass somit die Stimmidentifikation durch den Zeugen anhand der vorgespielten Aufnahmen unwissenschaftlich ist und keinerlei forensischen Beweiswert hat.
Diverses Klein-Klein
Auf die Nachfrage der Verteidigung, ob nun doch Rolf Lehmann als Zeuge geladen sei und zu welchem Beweisthema, antwortete der Vorsitzende, dass es um die Fahrt und seine Wahrnehmungen im RE von Dresden nach Wurzen gehen solle. Er habe den Beweisantrag nochmal gelesen und will ihn nun doch befragen. Ursprünglich hatte er dies abgetan. Dabei geht es um den Tatvorwurf der Beihilfe im Komplex Wurzen II.
Auf die Frage der Verteidigung, ob die Beweisaufnahme zur Innenraumaufnahme nun abgeschlossen sei, antwortete der vorsitzende Richter “Keine Ahnung”. Eine etwaige Ladung des:der am vorigen Prozesstag erwähnten Beamten mit der Kennziffer „07“ bewertete der Vorsitzende als uninteressant, da ja der Polizeibeamte Born geladen würde, dessen Einheit die Vermerke bei der Observation gemacht habe. Die Verteidigung wollte dazu außerdem wissen, warum eine weitere Zeugin geladen sei. Der Vorsitzende gab bekannt, dass es um die Beschäftigungszeiten und Nutzung von Dienstfahrzeugen eines Angeklagten gehe. Zudem behauptete er, dass die reservierte Playstation nicht abgeholt wurde, sondern storniert worden sei. Auch die Identifikation eines Angeklagten auf einem Überwachungsvideo lehnte der Vorsitzende ab bzw. erhofft sich die Hilfe des BKA zur weiteren Alibi-Abklärung.
Die Verteidigung bat um die Beweisliste bis Ende April. Der Vorsitzende kündigte an, dass diese nächste Woche mitgeteilt werde.
Beweisantrag zu Eisenach II
Es folgte die Verlesung eines Beweisantrags durch die Verteidigung: Es ging um einen Facebook-Post von Patrick Wieschke in Bezug auf den Angriff auf mehrere Faschisten in Eisenach am 14. Dezember 2019 (Tatkomplex Eisenach II). Ausdrucke hiervon sollen verlesen und in Augenschein genommen werden. So hat der einschlägig bekannte Neonazi Patrick Wieschke noch am selben Tag Beiträge auf Facebook verfasst, in denen er über den vermeintlichen Tathergang des Angriffs auf Leon Ringl, Maximilian Andreas, Robert Schwaab und Nils Ackermann schrieb. Die Verteidigung verwies in ihrem Antrag auf einige vertrauliche Details, die in Wieschkes Beitrag sehr kurze Zeit nach der Tat bereits auftauchten – so der Hinweis auf die angebliche Beteiligung einer Frau, auf die vermutliche Verwendung von Hämmern, auf bereits erfolgte Festnahmen, die Benennung von mutmaßlich Beschuldigten sowie ein Foto von der Kopfverletzung des vermeintlich Geschädigten Schwaab.
Hieraus ergibt sich – so der Beweisantrag weiter – dass Wieschke Kontakt zu einer Quelle gehabt haben muss, die Zugriff auf Ermittlungsakten hatte. Mit seiner Veröffentlichung und Verbreitung zu solch frühem Zeitpunkt provozierte Wieschke eine falsche, die Beschuldigten belastende, Gruppenerinnerung. Dies wiege umso schwerer durch die hohe Reichweite von Wieschkes Account auf Facebook – allein der Beitrag hatte etwa 8000 „Gefällt mir“-Angaben zum Zeitpunkt des gefertigten Screenshots, des weiteren wurde der Beitrag in der Facebook-Gruppe „Interessantes aus Eisenach“ geteilt. In der Folge ist eine Verfälschung von Zeugenaussagen in Einklang mit den von Wieschke gestreuten vermeintlichen Informationen über den Tathergang des 14. Dezember 2019 in Eisenach zu befürchten. Auffällig war, dass sich mehrere Geschädigte nicht bei ihren ersten, sondern erst bei ihren späteren Vernehmungen an gewisse prägnante Details erinnern wollten. Im Konkreten betonte Leon Ringl erst bei seiner zweiten und dritten Vernehmung, dass eine Frau dabei gewesen sein soll. Robert Schwaab und Maximilian Andreas benannten erst ab ihrer jeweils zweiten Vernehmung einen Hammer. Allein Nils Ackermann berichtete von seiner ersten Vernehmung an von einem Hammer. Auch beziehen sich mehrere Eisenacher Zeug:innen auf Wieschkes „Bericht“. Speziell der Nachbar von Leon Ringl, der bereits als Zeuge bei der Polizei und vor Gericht ausgesagt hat, konnte vor seiner Vernehmung Kenntnis von Wieschkes „Bericht“ haben, zumal dieser von Wieschke auf Facebook kontaktiert und an die Polizei „vermittelt“ wurde.
Wieschke müssen nicht-öffentliche Informationen zum Überfall zugespielt worden sein, womöglich auch durch Zuarbeit der Geschädigten Ackermann, Andreas oder Schwaab. Mindestens haben Absprachen zwischen Ringl und Wieschke stattgefunden. (Dass mindestens das Foto von Schwaabs Kopfverletzung von Ringl an Wieschke weitergegeben wurde, ergaben auch schon die Zeugenvernehmungen der Geschädigten Ringl und Schwaab. Auch die Identitäten der von Wieschke öffentlich als tatverdächtig namentlich benannten Personen müssen, sodann er sie sich nicht ausgedacht habe, an ihn weitergegeben worden sein.
Diese Aspekte zeigten, dass die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Geschädigten infragezustellen ist. Konkret sind diese Erkenntnisse zu würdigen als erhöhte, gegen die Beschuldigten gerichtete Belastungstendenz bei den Vernehmungen der Zeugen Andreas, Ackermann und Ringl, weshalb es hierzu aussagepsychologischer Gutachten bedarf. Eine vergleichbare Gefahr wie von Wieschkes Beitrag geht so auch von dem Interview-Video des Berliner Neonazis Sebastian Schmidtke mit dem Geschädigten Cedric Scholz und diversen Artikeln des rechten Magazins Compact aus, durch welche sich einige Zeug:innen informierten.
Der Antrag betonte: Patrick Wieschke ist ein zentraler Nazikader und NPD-Stadtrat mit Verbindungen zum NSU über den Thüringer Heimatschutz. Zudem war er selbst an einem rassistisch motivierten Sprengstoffanschlag auf einen Imbiss in Eisenach beteiligt. Der Antrag der Verteidigung schloss: Diese sich bei Wieschke abzeichnende massive Belastungstendenz ist zu berücksichtigen. Ein Beweiswert durch das Einsetzen Wieschkes als Zeuge ist nicht zu erwarten, weswegen hiervon abzusehen ist.
Der Vorsitzende folgte sogleich dem formalen Teil des Antrags, die beigelegten Screenshots des Facebook-Posts zu verlesen und in Augenschein zu nehmen. Es folgte eine ergänzende Bemerkung zum Antrag und zum Thema Durchstecherei: Wieschke veröffentlichte in einem Nebensatz, dass Kennzeichen in Vorbereitung auf den Angriff geklaut worden seien – diese Information konnte zu dem Zeitpunkt nur die Polizei haben. Es schloss sich eine kurze diffuse, nicht erhellende Diskussion über das Erstellungsdatum der Screenshots an.
Anknüpfend an den Punkt der Glaubwürdigkeit von Zeug:innen thematisierte die Verteidigung die gestrigen groß angelegten Razzien bei Neonazis. Zum einen liegt somit nahe, dass die Bundesanwaltschaft bereits längst Informationen zu Ringl & Co und ihren Aktivitäten hatte. Auch kollidiere die harmonische Darstellung Leon Ringls in Wieschkes Beitrag als Besitzer einer „kleinen Gaststätte“ und „Familienvater“ offenkundig mit den Geschehnissen des gestrigen Tages: Ringl und Andreas wurden festgenommen, bei einer Bestätigung der Vorwürfe gegen sie ergeben sich deutliche Anhaltspunkte, dass sie als Zeugen unglaubwürdig sind und massive Falschaussagen getätigt haben. Zwar räumte der vorsitzende Richter ein, dass es – auch ohne den Hintergrund der Razzien – naheliegend sei, dass da Falschaussagen stattgefunden hätten. Auf die Nachfrage der Verteidigung, ob beim Senat hierzu ein Aufklärungsinteresse besteht, gab sich Schlüter-Staats echauffiert – wie der Verteidiger ernsthaft glauben könne, dass ein zurechnungsfähiger Staatsanwalt Einsicht in die Akten über „den größten Schlag gegen Rechts seit 1945“ gewähren würde. Auf die wiederholte Frage, ob das Gericht dem nachgehen werde, verneint der Vorsitzende: Er werde keine Akten anfragen.
Nach einer Mittagspause von eineinhalb Stunden wurde die Verhandlung um 14:10 Uhr fortgesetzt. Es folgten ein paar kurze Ankündigungen des Vorsitzenden für die kommenden Prozesstage. So sei der Polizeibeamte und Zeuge Fritzler im Urlaub, eine Zeugin solle nächste Woche stattdessen mit Zeug:innenbeistand kommen.
Widerspruch Observationserkenntnisse
Anschließend sollte nun der Polizeizeuge Daniel Mathe an der Reihe sein. Mit viel Mühe verschaffte sich Verteidigerin Belter Gehör beim vorsitzenden Richter, um zuvor noch einen Antrag hierzu zu verlesen und der Einführung sowie Verwertung von Observationserkenntnisse zu widersprechen. Die Begründung: Für den Verlängerungsbeschluss von Observationsmaßnahmen, die anfänglich im Februar 2020 am AG Meiningen genehmigt wurden, wurden die Voraussetzungen nicht geprüft und die betreffenden Akten lagen der Richterin nicht vor. Es bestand also keine Grundlage für eine ermittlungsrichterliche Anordnung und für so einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten. Staatsanwältin Geilhorn nahm dazu Stellung, dass die Verwertung nicht jetzt entschieden werden müsse und sie davon ausgehe, dass kein Erhebungsverbot vorliege. Es entwickelte sich eine Diskussion, welche Observationsergebnisse gemeint seien. Die Verteidigung betonte, dass die rechtswidrige Verlängerung nicht unwesentliche Folgen hatte und sie deshalb den Widerspruch zu diesem Zeitpunkt vorbrachten. Der Vorsitzende erklärte, dass die Ermittlungen der Personalien von einer dritten Person und deren Ähnlichkeit von Relevanz für ihn seien. Daraufhin wandte die Verteidigung ein, dass die Person gar nicht erhoben worden wäre, wenn es keine unrechtmäßigen Fotos gäbe. Dies betraf Observationsmaßnahmen und -erkenntnisse, die noch vor dem Gefahrenabwehrbeschluss bezüglich Brian Engelmann durchgeführt wurden.
Zweiter Zeuge: Polizeibeamter Mathe zu Observationen
Gegen 14:30 Uhr begann die Befragung des Zeugen Daniel Mathe, 46 Jahre alt und Kriminalhauptkommissar beim LKA Sachsen. Der Vorsitzende bat den Zeugen zu berichten, was dessen Aufgaben im ganzen Observationsgeschehen bis zum 10. Juni 2020 waren und wie sein Bericht von März 2021 über diese Observationen zustande kam.
Über das Land Thüringen fragte die KPI Gotha Amtshilfe an, um konkrete Hinweise zum Lebensmittelpunkt zweier angeklagter Personen zu ermitteln und mithilfe dieser Erkenntnisse Durchsuchungen durchführen zu können. Die Beschlüsse für die Observation kamen aus Thüringen, umgesetzt wurden sie vom sächsischen MEK Staatsschutz. Verfahrensführend sei aber Thüringen gewesen. Mathe war im Ermittlungsabschnitt in die Auswertung involviert: Informationen zu Personen und Örtlichkeiten beschaffen sowie Bewertung von Bildern, die sein Abschnitt vom MEK Staatsschutz erhielt. Aber er sei nicht allein verantwortlich für die Ergebnisse, denn man betrachte und bearbeite Dinge immer gemeinsam im Team und einer unterschreibe am Ende. Im Zusammenhang mit dem hiesigen Verfahren seien relevante Ereignisse gewesen, Treffen zu einem Zeitpunkt X oder Kennverhältnisse zu belegen. Dazu gäbe es entweder Kontaktpersonen, die im polizeibekannten „Hellfeld“ unterwegs sein oder unbekannte Personen, die teilweise nicht mal identifiziert werden konnten. In den Observationen ging es auch um Personen, die schon in Strafverfahren auffällig geworden seien.
Am 03. Juni 2020 kam vom MEK Staatsschutz die Info, dass zwei Angeklagte sich auffällig verhalten würden. Es kam der Auftrag rein, dass eine Prüfung der Adressen erfolgen solle, wer dort wohne. Herr Massa überprüfte die Adresse und bewertete die Handlungen der beobachteten Beschuldigten als Ausspähung. Der Wechsel von Kleidung, das Aufsetzen einer Brille und das Aufhalten in der Nähe von Buschwerk wurde von ihnen als konspiratives Verhalten ausgelegt. Der Vorsitzende unterbrach die Schilderung, dass die Recherche ergeben habe, dass Brian Engelmann an der Adresse wohnte und als rechtes Klientel einzuordnen sei. Der Zeuge gab daraufhin an, dass die Observationsmaßnahmen fortgesetzt wurden. Das Tragen eines Basecap und von Schminke, sowie die Laufnähe zur Wohnadresse von Engelmann, wurden wiederum als konspirativ gewertet. Im Anschluss soll es ein Treffen in einem Park gegeben haben, bei dem drei Männer und ein Laptop anwesend waren. Die Behörden beriefen ein Telefon-Meeting ein, bei dem a) die Kontaktaufnahme zu Engelmann und b) das informatorische Abfragen über seine Lebenssituation vereinbart wurden.
Der Zeuge hat das Gespräch mit Engelmann am Freitag wohl nicht geführt, aber es gelesen. Das Gespräch habe wohl der hier auch schon bekannte Reimer von der Soko LinX geführt. Engelmann habe bestärkt, dass man ihn auf dem Schirm habe. Das LKA fühlte sich daraufhin in ihrer These bestärkt, dass die Gefahr bestehe, Engelmann könne seine Prüfung nicht ablegen. Deshalb wurden am Wochenende weitere verdeckte Maßnahmen durchgeführt. Die Anwesenheit von Personen, gegen die Strafverfahren in Thüringen und darüber hinaus geführt worden seien, sei auffällig gewesen. Das LKA entschied sich die Beobachtungen des MEK Staatsschutz übereinander zu legen und schloss daraus, dass ein Angriff auf Engelmann bevorstehe. Am Montag erfolgte die Wandlung in Gefahrenabwehr-Maßnahmen. Um laufende Ermittlungen mit Gefährderansprachen nicht zu gefährden, aber auch den Faschisten Engelmann zu beschützen entwickelten sie folgenden „Kompromiss“: Keine offenen Maßnahmen, Absprache mit Thüringen und unter Hochdruck Planung von Hausdurchsuchungen.
Die Nachfrage des Vorsitzenden, worauf der Bericht beruhe, ergab: Auf dem Einsatztagebuch plus einer Niederschrift von Funk und Telefon-Informationen. Die elektronische Form des Einsatztagebuches ist aber nicht Bestandteil der Akten in Sachsen. Kenntnisse für Vermerke werden in Form der Einsatztagebücher eingefroren“. Der Führungsstab war unmittelbar beteiligt und es erfolgte eine direkte Dokumentation der Erkenntnisse. Er bestand aus Herrn Kuhne, Herrn Helmert (Leiter von Soko Linx) und ihm. Sie hatten die Leitungsfunktion, der Rest war zur Dokumentation eingesetzt. Der Verbindungsleiter als Kontakt zum Geschehen vor Ort war „07“. Ein Briefing für die Beamten vor Ort erfolgte mit Bildmaterial von Personen, die am Ort der Prüfung oder seiner Wohnadresse auflaufen könnten.
Die Vorgabe zum Schutz des Faschisten Engelmann war es, dass Kräfte einer mobilen Einheit ihn „in der Tiefe“, also verdeckt, begleiten sollten. Das MEK Dresden war nur in der Fromannstraße (Wohnadresse Engelmann), am Prüfungsort war irgendeine mobile Einsatz- und Fahndungsgruppe zu seinem Schutz. Für das MEK DD, die einen anderen Blick hätten, war nur wichtig, dass nichts passiere, sie seien einzig zur Gefahrenabwehr herbeigerufen worden. Für die war einzig interessant, dass eine weiblich gelesene Person mit Rad in der Fromannstraße zugegen gewesen sei. Diese Anwesenheit wurde als auffällig und als ausspähend bewertet. Der Zeuge gab an, dass die Abmachung gewesen sei, jene weiblich gelesene Person nicht anzusprechen, weil das MEK ja verdeckt unterwegs war. Zudem hätten sie keine Sachverhaltskenntnis gehabt, allerdings wollten sie irgendwann ausschließen, dass es die Angeklagte sei. Erst später, nach den Maßnahmen, habe man die betreffende Frau mithilfe eines Bildervergleichs soweit identifiziert, dass es nicht die Angeklagte war. Eine tiefergehende Identifikation erfolgte erst durch das LKA (Soko LinX), weil sie den Beamten „keine Ruhe ließ“. Die Erinnerungen der zivilen Beamtin des MEK DD, ein weiterer Vermerk mit der Schilderung der Wahrnehmungen zur unbekannten weiblichen Person der Beamtin und Bilder sollen ergeben haben, dass es sich dabei um eine Zeugin handelte, welche am heutigen Prozesstag geladen war. Die besagten Bilder sollen Fotos sein, die vom MEK DD ans MEK Staatsschutz gingen. Dazu könne aber Herr Born, Kommandoführer des zweiteren, mehr sagen. Das MEK DD habe ja nur die Aufgabe gehabt, Engelmann zu schützen und sich deswegen nicht weiter mit Personen befasst, welche sich auffällig verhielten, solange keine offensichtliche Gefahr von ihnen ausgegangen sei. Das LKA hatte trotzdessen die Vermutung, dass die unbekannte weibliche Person eine Rolle gespielt habe und da der Einsatz technischer Mittel möglich gewesen sei, wären wohl auch Kameras im Einsatz gewesen. Die Bilder ständen jedoch nicht mehr zur Verfügung, da das MEK DD den Vorgang geschlossen habe. Das MEK Staatsschutz jedoch habe sie behalten, weil sie weiter daran arbeiten wollten. Es schien so, als wären die Fotos vom Einsatz des MEK DD sehr schlecht gewesen, sie seinen wohl von einem Bildschirm abfotografiert worden. Diese Bilder seien dann mit anderen Bildern von Observationsmaßnahmen verglichen worden, um eine Identifizierung vorzunehmen. Die Ermittelnden hätten außerdem anhand der Fotos das Fahrrad der fraglichen Person wiedererkannt. Anscheinend arbeiten die Ermittlenden dort zusammen, sodass nicht klar ist, ob derjenige, der den Identifizierungsvermerk unterschrieben hat, die Identifizierung auch allein durchgeführt hat. Herr Born habe die Fotos dem LKA zur Verfügung gestellt.
Zu den Informationen, die sich in dem Bericht des Zeugen wiedergefunden haben, wie beispielsweise die Bekleidung der Person und ihr Verhalten, gab der Zeuge an, dass diese eine Kombination aus dem seien, was das MEK DD verschriftlicht habe und was die ganze Zeit über Funk im Einsatztagebuch dokumentiert worden sei. Es wurde durch das MEK DD wohl durchgegeben, die unbekannte weibliche Person würde „aufklären“ und sich auffällig verhalten. Erst später wurde dann wohl angegeben, sie sei aufgeregt gewesen und irgendetwas sei mit einer Zigarette gewesen.
Eine erneute Nachfrage des Vorsitzenden zum Einsatztagebuch folgte. Die Eingaben werden wohl mit der Zeit des Abtippens gespeichert. Der Einsatzbericht des MEK DD bestünde nur aus Vermerken, weil es für die nichts zu berichten gegeben habe, erläuterte der Zeuge. Nur oben beschriebene, als auffällig gewertete Person, wollte das MEK Staatsschutz unbedingt im Bericht haben. Die Info über jene Person sei über Funk gekommen.
Auf die Rückfrage bezüglich Engelmanns gestriger Aussage, dass eine zivil gekleidete Einsatzperson ihn bis zur Wohnung begleitete, sagte der Zeuge, dass ihm das nicht bekannt sei. Es würde auch jeglichen Grundsätzen widersprechen, da jene zivilen Einheiten die Kontaktaufnahme mit Bürger:innen scheuen würden.
Nach einer Pause stellte der Vorsitzende fest, dass er die Engelmann-Geschichte in Bezug auf die Mobile Einsatz- und Fahndungsgruppe mit denen selbst abklären wolle. Zudem plane er den Verfasser des Observationsberichts vom MEK Staatsschutz zu laden. Der Zeuge sagte mit Blick auf GeoPortal-Pläne, die in der Akte nach seinem Vermerk stünden, jedoch nicht unterschrieben seien, dass er diese zum ersten Mal sähe. Vom Senat kam schließlich eine Frage zum Training von Engelmann am 08. Juni, ob er da in Polizeibegleitung gewesen sei. Der Zeuge gab an, er wisse es nicht genau, vermute aber, dass nichts von Relevanz gewesen sei und deshalb dazu nichts im Bericht stehe. Im Verlauf des Zeugen-Berichts kam heraus, dass die Observationen bis zum 10. Juni, also dem Tag der Hausdurchsuchungen, weiter liefen, damit dem Faschisten Engelmann nichts passiere. Auch über Nacht sei observiert worden.
Die Observationsmaßnahmen, die Engelmann schon seit dem 05. Juni bemerkt haben wollte, konnte sich der Zeuge nicht erklären. Er betonte immer wieder, dass die Entscheidung zur Gefahrenabwehr am Montag, den 08. Juni, in der zehnten Stunde erfolgte.
Mit „Wir“ meinte er das LKA Sachsen und die im Rahmen der Amtshilfe betrauten Personen aus Thüringen. Er unterstrich, dass die Vorlaufphase erst am 08. Juni war und über das Wochenende keine Maßnahmen gegenüber Engelmann durchgeführt wurden. Auch das Erscheinen eines Angeklagten in Leipzig wurde nochmals hervorgehoben und als „switch“-Moment beschrieben. Die von Engelmann beschriebenen Leute mit Knopf im Ohr waren entweder eingebildet oder andere Personen.
Die Bundesanwaltschaft hatte dann Nachfragen zur Warnung gegenüber Engelmann. Die Verfahrensbearbeitung war im Rahmen der Amtshilfe nach der Situation im Park und sie wollte wissen, wie die Kontaktaufnahme zu Engelmann ablief. Der Zeuge gab an, dass Engelmann nicht überrascht gewesen sei und bereits eine Ausspähung durch Linke vermutete. Erst im Telefonat mit ihm sei die Info gekommen, dass er Jura-Prüfungen schreibe. Den Ort der Prüfungen habe Engelmann selbst gesagt. Eine Rückfrage zu den Abläufen der Maßnahmen und Zuständigkeiten ergab: Ursprünglich zuständig für die Observationen war das MEK Staatsschutz, welches jedoch schon so viel im Einsatz war, dass es an besagtem Tag nicht vor Ort in Leipzig gewesen sei. Auf Unverständnis des Vorsitzenden wurde der Zeuge deutlicher: die Observationen wurden fortgeführt, aber nicht mit Personen vor Ort. Einen Vermerk gäbe es nur dazu, mit der einzig relevanten Info – dem Betreten der Wohnung. Weiteres könne nur der Herr Born dazu sagen. Klar wurde jedoch, dass der Einsatz technischer Mittel genutzt wurde und eine Kamera vor der Hauseingangstür in Echtzeit aus der Ferne überprüft und entsprechende Angaben zum Betreten und Verlassen der Wohnung der Angeklagten an den Staatsschutz weitergegeben wurden.
Durch Rückfragen der Verteidigung wurde der Ablauf der Ereignisse nochmals klarer. Nach der als konspirativ eingestuften Zusammenkunft im Park sei alles losgegangen. Die bereits genannte Telefon-Konferenz fand am Freitag nachmittags statt. Über das Wochenende seien noch andere Dienststellen des MEK Staatsschutz beteiligt gewesen, der Rest dann erst ab Montag. Die Verteidigung hakte nach, wann und von wem die Info kam, ein nun Angeklagter sei in Leipzig. Der Zeuge erzählte, durch ein Verfahren des BKA und über die Staatsanwaltschaft Meiningen wurde sich eben ausgetauscht. Der Zeitpunkt war ihm nicht erinnerlich, er meinte jedoch, das könne über die Akte (sehr umfangreich) oder die Personenakte rekonstruiert werden sowie über den Austausch der operativen Einheiten. Er müsse das selbst erst suchen. Bei der 10 Uhr-Besprechung am Montag sei die Anwesenheit des Angeklagten bekannt gewesen und wurde als Zusammenkunft der Gruppe interpretiert.
Wie oftmals geschehen, redete der Vorsitzende rein und legte fest, dass die Überwachung durch das vom BKA geführte Verfahren zeigte, dass sich der Angeklagte in Leipzig befunden habe. In der Besprechung sei es ja bekannt gewesen, nur eben nicht in der Akte verschriftlicht.
Zum Beschluss der Observations-Anordnung ergab die Befragung, dass es um Kontaktpersonen und alles, was für das Verfahren in Eisenach relevant sein könnte, ging. Der Zeuge hatte Kenntnis von Ermittlungen nach § 129, aber erinnere sich nicht seit wann und er sei auch nicht tätig in dem Verfahren. Der Vorsitzende warf ein, dass es zu diesem Zeitpunkt noch kein § 129-Verfahren gegeben habe. Nach einigen Diskussionen zwischen Verteidigung und dem Vorsitzenden konnte der Zeuge in seiner Befragung auch nach Vorhalten keine neuen Aussagen mehr treffen. Zuletzt ging es nochmals um Erkenntnisse des BKA, auch bezüglich der Stimm-Identifikation, aber vor allem woher die Info kam, dass ein Angeklagter den Aufenthaltsort gewechselt haben soll. Die Verteidigung betonte, dass bei einem hochkomplexen Einsatzgeschehen wohl Fakten geschaffen wurden, ohne dass es eine Quellenangabe gibt, und dies bei eigentlich umfangreichen Berichten.
Der Zeuge sagte, dass die Ermittelnden nichts weglassen würden, was entlastet, sie aber dumm wären, würden sie etwas Belastendes nicht verschriftlichen.
Der Prozesstag endete um 17:30 Uhr.
Der nächste Prozesstag findet am 13. April 2022 um 9:30 Uhr am OLG Dresden statt.