Bericht vom 59. Prozesstag – Mittwoch, 27.07.2022

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Bericht vom 59. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 27.07.2022

Dieser Prozesstag war maßgeblich geprägt von sehr langen Unterbrechungen. Er begann überraschenderweise damit, dass nun wieder darauf geachtet wurde, dass die Presseplätze freigehalten wurden und man sich nur auf die extra ausgeschilderten Plätze setzen konnte, obwohl diese Regelung seit längerer Zeit nicht mehr beachtet wurde.

Ein geladener Zeuge hat die Aussage verweigert und dafür ein Ordnungsgeld bekommen, da der Vorsitzende dessen Aussageverweigerungsrecht nicht anerkannte. Zudem wurde viel über das potentielle Ausschließen der Öffentlichkeit in Bezug auf die Aussagen des Kronzeugen Domhöver (im Weiteren abgekürzt mit J.D.) diskutiert. Im Weiteren war eine Gegenvorstellung der Verteidigung zur Ablehnung des Antrags der Verteidigung, diverse Dokumente zu den Vernehmungen Domhövers beizuziehen verlesen, von Bedeutung.

Ablehnung der Aktenbeiziehung zu Domhövers Aussagen

Zu Beginn des Prozesstags lehnte der Vorsitzende Schlüter-Staats die, durch die Verteidigung am 58. Prozesstag (20.07.2022) beantrage, Aktenbeiziehung und das Unterlassen weiterer Vernehmungen des Kronzeugen bis zum Ende seiner Aussage ab.

Dies sei weder durch die Aufklärungspflicht, noch durch den Anspruch an ein faires Verfahren geboten. Die Waffengleichheit werde zu Recht gefordert, jedoch sehe der Senat keinerlei Benachteiligung der Verteidigung, da die Bundesanwaltschaft (BAW) immer alles mitteilen würde, sofern es Relevanz für das hiesige Verfahren habe und somit werde in den Augen des Vorsitzenden dieser Rechtsgrundsatz eingehalten. 

Sollte sich im Zuge der Vernehmungen des J.D. ein Aufklärungsbedarf bilden, würden sie noch einmal über die Beiziehung der beantragten Dokumente sprechen.

In Bezug auf das Unterbinden weiterer Vernehmungen des Zeugen J.D. durch Landeskriminalämter oder das Bundeskriminalamt (BKA), gab der Vorsitzende an, dass sich die Oberstaatsanwältin der BAW, Alexandra Geilhorn, schon dazu geäußert habe und es keine weiteren Vernehmungen geben würde. Zudem sagte er, dass sie kontinuierlich die neuesten Erkenntnisse mitgeteilt hätten.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaften könne der Vorsitzende nach seiner Aussage nicht beeinflussen und meinte, die Fortführung der Ermittlungen sei nicht vom Einvernehmen des Senats abhängig. 

Die Verteidigung forderte den Beschluss unmittelbar zu bekommen, um eine Gegenvorstellung verfassen zu können, da die Vernehmung am morgigen Verhandlungstag beginnen soll.

In Bezug auf den Antrag des Rechtsanwalts Michael Stephan, der als Domhövers Zeugenbeistand fungiert, die Öffentlichkeit für dessen Vernehmung auszuschließen, gab der Vorsitzende bekannt, dass er entsprechende Entscheidung am Folgetag treffen würde. Er erachte die Sachlage als schwierig; so schätze er J.D. als gefährdet ein, jedoch sei (die) Öffentlichkeit wichtig.

Der Vorsitzende war der Meinung, dass J.D. aufgrund der Aussagen, die er vor Gericht tätigen wird, noch gefährdeter sei, als zuvor. Die Verteidigung hielt dies für haltlos, da es keinerlei Unterschied mache, wo er seine Aussagen macht, sondern dass er sie gemacht hat. Zudem sah die Verteidigung in keinem der Texte oder Kommentare eine konkrete Bedrohung für den Zeugen.

Schlüter-Staats argumentierte mit den Kommentarspalten der Süddeutschen und der TAZ und erklärte, es gäbe wohl Mordaufrufe europaweit.

Hier insistierte die Verteidigung erneut und stellte fest, dass jede:r Polizist:in solche Kommentare schreiben könnte, um für genau diesen Eindruck zu sorgen und bestimmte Ziele damit zu erreichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Beamt:innen so in Diskurse und Debatten in der Bewegung einmischen. 

Der Vorsitzende argumentierte mal wieder mit Vorfällen in Hamburg, Berlin und Leipzig, wo Brandanschläge auf Polizist:innen und die LVZ verübt wurden. 

Hiernach kündigte der Vorsitzende eine Unterbrechung der Sitzung an und warf zuvor noch einige Informationen in den Raum. So habe er beispielsweise abgelehnt, dass Enrico Böhm als Nebenkläger aus der Untersuchungshaft in den Saal gebracht wird, um die Aussagen Domhövers zu hören, da dieser eh nichts zu dem Tatkomplex sagen könne.

Hierauf folgte die erste lange Unterbrechung von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr.

Gegenvorstellung der Verteidigung

Im Anschluss an die Pause verlas die Verteidigung ihre Gegenvorstellung zur Ablehnung des Antrags des Vorsitzenden vom Morgen in Anwesenheit des hinzu gekommenen Nebenklageanwalts Kruppe (ehemals Tripp).

Sie begründete erneut, warum es so wichtig für die Vernehmung Domhövers ist, verschiedene Akten aus Dessau-Roßlau, Dortmund, Berlin, der Befragungen des BKA, Akten der BAW, und die Forschungs- und Werbeakte des Bundesamtes für Verfassungsschutz hinzuzuziehen. Zudem existieren noch weitere Akten, deren Aktenzeichen die Verteidigung nicht kennt, die aber in den Vernehmungen der Soko LinX vorkamen. Hierbei handelt es sich um ein Geschehen am 05.05.2019 in der Koburger Straße in Leipzig, sowie um einen Angriff am 17.06.2019 in der Mensa der HTWK Leipzig.

Zudem stellte die Verteidigung erneut klar, dass sie wissen, dass sie nicht alle Ermittlungen einstellen würden, aber sie forderten, dass alle Beteiligten sofort darüber in Kenntnis gesetzt werden. Die BAW sorgt hier für eine unerträgliche Verfahrenssituation, welche zu Fehlern des Gerichts führt, wie beispielsweise das Ordnungsgeld gegen eine Zeugin, welche nun beschuldigt ist und ein Aussageverweigerungsrecht gehabt hätte.

Die Verteidigung war sich sicher, dass J.D. bei seiner Zusammenarbeit mit den Behörden Angaben zu anderen Sachverhalten macht und zweifelte an, dass die BAW Verbindungen zum hiesigen Verfahren bekanntgeben wird.

Auch wurde erneut auf die Schwierigkeit der Kronzeugenaussage eingegangen. Es gibt verschiedene Motivationen für J.D., möglichst viel zu belasten, außerdem wird er intensiv auf die Vernehmung vorbereitet und es müsste möglich sein, die gemachten Aussagen des Zeugen zu prüfen.

Es gab mehrere Vermerke und Hinweise darauf, dass das LKA und die BAW bereits Erkenntnisse aus den Vernehmungen hatten, die der Verteidigung nicht zugänglich gemacht wurden und es gab mehrere Punkte, an denen J.D. seinen Anwalt sprechen wollte, bevor er etwas zu bestimmten Sachverhalten sagen würde. Was daraus geworden ist, ist der Verteidigung nicht bekannt. Hier handelt es sich beispielsweise um einen Angriff auf einen Thor-Steinar Laden in Dortmund und einen „Hausbesuch mit Feuerlöschervideo“. Es ist aus Sicht der Verteidigung nicht klar, welche Zusammenhänge es zum hiesigen Verfahren geben könnte und sie forderten erneut, entsprechende Akten beizuziehen.

Hiernach wollte der Vorsitzende die Sitzung erneut unterbrechen, doch zuvor äußerte sich die Verteidigung noch zu der Überlegung, die Vernehmung Domhövers unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Sie würden für den Fall, dass sich der Senat für den Ausschluss entscheidet, mit einem Eilantrag an das Verfassungsgericht wenden. Diese Aussage und Aussicht überraschte den Vorsitzenden sichtbar.

Die Sitzung wurde erneut für 45 Minuten von 12:20 Uhr bis 13:05 Uhr unterbrochen.

Aussageverweigerung und Ordnungsgeld

Der Zeuge betrat den Saal mit einem Rechtsbeistand, was die BAW sichtlich und hörbar verunsicherte. Der Vorsitzende wollte nach der Belehrung wissen, ob der Zeuge jemanden von den Angeklagten persönlich kenne, woraufhin dessen Rechtsbeistand sich auf ein umfängliches Aussageverweigerungsrecht nach §55 StPO bezog und erklärte, dass sein Mandant sich nicht äußern wird.

Schlüter-Staats meinte, dass ein Kennverhältnis ja wohl nicht zu einer Strafverfolgung führen würde und wollte, dass der Zeuge antwortet. Er sähe keinen Grund für ein Aussageverweigerungsrecht.

Da es sich um eine Vereinigungstat handelt, blieb der Zeuge dabei, sich nicht zu äußern. Auch auf die Frage nach seinem Arbeitsverhältnis äußerte sich dieser nicht.

Der Vorsitzende wollte ihn in eine Denk- und Beratungspause mit seinem Zeugenbeistand schicken, was der Zeuge nicht für nötig hielt; er blieb konsequent beim Schweigen, trotz Androhungen von Beugehaft und Ordnungsgeld.

Es kam zu einer Diskussion zwischen allen Beteiligten: Der Vorsitzende sähe keine Gefahr für den Zeugen, weil Kennverhältnisse nicht dazu führen würden, dass der Zeuge strafrechtlich verfolgt werden würde. Die Verteidigung erinnerte an Beispiele, bei denen das Gericht Personen genötigt hat, Aussagen zu tätigen und diese im Nachgang beschuldigt wurden. Die BAW meinte nur, dass sie dem Vorsitzenden zustimme und keinen Grund für §55 sähe.

Nach einer 15-Minütigen Unterbrechung verkündete der Vorsitzende ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro für den Zeugen und schickte ihn raus. Die Verteidigung argumentierte gegen diese Entscheidung, vor allem mit dem Ordnungsgeld gegen die Zeugin, die nun Beschuldigte ist, was ein Fehler des Gerichts war. Der Vorsitzende meinte, dies sei kein Fehler gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe es da noch keine Anzeichen für eine Mitgliedschaft in der Vereinigung gegeben und er habe richtig gehandelt. Die Verteidigung schlüsselte die Kette der Fehler und die Desinformation durch das LKA und die BAW auf und erinnerte auch noch einmal an die Vernehmung des Zeugen Ringl, welcher nun in Haft sitzt, was den Vorsitzenden nicht beeindruckte, sondern zu einem Abwürgen der Diskussion seinerseits führte. Er ließ nur noch ins Protokoll aufnehmen, dass ein Angeklagter seine Argumentation als Kindergarten bezeichnete und dem Vorsitzenden dazwischen geredet haben soll.

Eigentlich wollte er die Sitzung um 13:50 Uhr beenden, da die Verteidigung jedoch noch den Beschluss zum Antrag der Aktenbeiziehung forderte, kündigte er kurzerhand eine weitere lange Unterbrechung bis 15:00 Uhr an.

15 Minuten Geplänkel

Die Sitzung wurde erst um 15:15 Uhr fortgesetzt und der Vorsitzende verkündete den Senatsbeschluss, die Ablehnung des Antrags zur Aktenbeiziehung zu bestätigen. Er sähe hierfür keine Veranlassung, da es keine Pflichts des Gerichts zur Aktenbeiziehung gäbe, die Ermittlungen gefährdet werden würden und der Senat ohnehin Akten beiziehen würde, die er für wichtig erachte, wie die zum Fall Wurzen.

Frau Geilhorn würde laut Vorsitzendem alles weitergeben, der Thor-Steinar-Laden hätten keinen Bezug zum hiesigen Verfahren und im Fall des Bassisten von Kategorie C hätte der Senat die Akten beiziehen lassen, also tue er seine Pflicht.

In Bezug auf die Gefährdung von J.D. sprach der Vorsitzende von einem Video in welchem 31ern mit 9mm gedroht werden würde. Die Verteidigung argumentierte hier mit einem Jungendcode und zog stark in Zweifel, dass dies als ernsthafte Bedrohung begriffen werde, so heiße eine der bekanntesten Musikgruppen in den Charts 187 und auch hier würde niemand sagen, dass alle dazu aufgerufen seien, Zivilpolizisten umzubringen.

Der Vorsitzende hielt die Bedrohungslageeinschätzung durch das Video für plausibel und merkte an, dass noch offen sei, ob daraus der Ausschluss der Öffentlichkeit resultiere.

Danach diskutierten der Vorsitzende und die Verteidigung noch, ob im Fall der Eisenacher Faschisten nicht eine falsche Belehrung erfolgt sei, da sie kurz nach iher Aussage aufgrund der Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung verhaftet wurden. Der Vorsitzende war der Meinung, dass Frau Geilhorn eine so lang vorbereitete Aktion nicht hätte verraten können.

Zum Schluss wurde bekannt, dass Soko LinX-Beamte Daniel Mathe wohl ein Video beim Gericht vorbeigebracht habe inklusive einer Übersicht sowie Twitternachrichten. 

Damit endete der Prozesstag und es geht am 28.07.2022 mit dem 60. Prozesstag und der Vernehmung des Kronzeugen Domhövers weiter.