Wir sind alle 1006er – die Unterstützer*innengruppe stellt sich vor
Wenn die Soko LinX 06:00 Uhr klingelt…
Am 10.06.2020, gegen 06:00 Uhr morgens, kommt es in Leipzig Connewitz zu mehreren Hausdurchsuchungen. Insgesamt neun Wohnungen werden an diesem Tag in Leipzig das Ziel des Repressions-Apparates. Der Angriff richtet sich gegen antifaschistische Strukturen – gegen unsere Strukturen! Hinter den Durchsuchungen steht die im November 2019 gegründete „SoKo LinX“ – die sogenannte Sonderkommission Linksextremismus des Sächsischen Landeskriminalamtes. In fünf Fällen lautet der vorgeschobene Tatvorwurf zur Begründung von Razzien und DNA-Abnahmen: „erheblich schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf tateinheitlichen Fällen“. Konkret wird unseren Genoss*innen von den Behörden unterstellt im Februar 2020 fünf Neonazis am Bahnhof in Wurzen körperlich angegriffen zu haben, welche sich zu dieser Zeit auf dem Rückweg vom Neonaziaufmarsch aus Dresden befanden. Beweise gibt es keine – dafür aber den Druck seitens der „SoKo LinX“, „Ermittlungserfolge“ vorweisen zu müssen. Wir möchten mit dieser ersten Veröffentlichung über unsere Arbeit und unsere Ziele aufklären und das Geschehene einordnen.
Antifaschismus bleibt notwendig!
Die Connewitzer Hausdurchsuchungen des 10. Juni 2020 und die damit verbundenen Ermittlungsverfahren können nicht alleinstehend betracht werden. Sie reihen sich in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung ein. Wir erleben aktuell eine immer weiter voranschreitende Rechtsentwicklung in der BRD. Mehr als 200 Menschen wurden seit 1990 durch Neonazis ermordet. Zuletzt kam es in Hanau und Halle zu rechten Morden und Angriffen. In diesen Zeiten sehen wir es als notwendig an, dass Menschen sich aktiv antifaschistisch den Neonazis und ihren Wegbereiter*innen entgegenstellen. Das muss auf verschiedenen Ebenen passieren. Ob durch Blockaden, Gegenproteste, Mahnwachen oder auch durch körperliche Konfrontation – alles hilft und ist legitim, um den rechten Strukturen Einhalt zu gebieten. Denn dort, wo Neonazis ungehindert ihre Ansichten verbreiten können, wo sie sich wohl und sicher fühlen, sind sie eine lebensbedrohliche Gefahr für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Deswegen ist ein antifaschistischer Selbstschutz – wenn notwendig auch mit militanten Mitteln – gegen Neonazis unabdingbar. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zeigt, wie Neonazis und Staat Hand in Hand gehen. Staatliche Behörden bauen die militante Rechte auf und kriminalisieren zeitgleich die Menschen, die sich gegen diese Strukturen organisieren. Mittlerweile werden durch Antifaschist*innen und Journalist*innen fast monatlich militante Neonazistrukturen aufgedeckt. In der gesamten Bundesrepublik werden Waffenlager von Faschist*innen und / oder Reichsbürger*innen entdeckt. Gleichzeitig machen Meldungen von Neonazi-Strukturen innerhalb der Bundeswehr (sowie deren Reservistenverband) und Polizei die Runde. Immer wieder bilden dabei Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus oder Antifeminismus den gemeinsamen Nenner unter den verschiedenen Beteiligten. Bei rechtsterroristischen Anschlägen, wie in Halle oder dem Mord an Walter Lübcke, sind die Behörden wie schon seit Jahrzehnten bemüht, die Erzählung vom „Einzeltäter“ zu verbreiten. Gleichzeitig festigt eine offen faschistische Partei Ihren Anspruch, menschenverachtende Einstellungen weiter salonfähig zu machen.
Kommen wir aber zurück zum eigentlichen Kern der Sache: Die Beschuldigung unserer Genoss*innen basiert auf fadenscheinigen „Beweisen“. Es wurden offenbar willkürlich Täter*innen bestimmt, teils weil sie sich im selben Freundschaftskreis bewegen oder auch nur, weil sie am betreffenden Abend miteinander Kontakt hatten. Der massive Einschnitt in die Privatsphäre, den Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, DNA-Entnahme und das Auslesen der Kommunikationsgeräte darstellen, steht reinen Mutmaßungen zum Tatgeschehen und den Tatbeteiligten gegenüber. Vielmehr stellt sich das Verfahren als Indizienprozess ohne Beweise dar, dessen einzige Legitimation der Fahndungsdruck der „Soko LinX“ aufgrund eines bundesweiten Fokus auf Leipzig als vermeintlich „linksextremer Hochburg“ ist. Der Angriff auf die Neonazis in Wurzen dient den Behörden als erneuter Vorwand für viel tiefergehende Ermittlungen in der linken Szene.
Getroffen hat es ein paar wenige – gemeint sind wir alle!
Bereits am Abend des 10. Juni kamen in Connewitz mehr als 400 Antifaschist*innen zu einer Spontandemonstration zusammen. Es wurde einerseits Solidarität mit den Betroffenen bekundet und andererseits ein klares Zeichen gegen die Repressionsbehörden gesetzt. Doch diese Spontandemonstration sollte nicht das einzige Zeichen der Solidariät sein. In den darauffolgenden Wochen organisierten verschiedene Gruppen und Einzelpersonen sowie Locations aus dem Stadtteil Soli-Aktionen, um Gelder – vorallem für die anfallenden Repressionskosten – für die Betroffenen zu sammeln.
In diesem Kontext haben wir uns als Unterstützer*innen-Gruppe zusammengefunden und möchten Seite an Seite mit den Betroffenen stehen und das weitere Agieren von Staat und Polizei kontinuierlich und kritisch begleiten! Wir möchten die große Hilfsbereitschaft koordinieren und so den Betroffenen die Hilfe zukommen lassen, die sie benötigen. Wir möchten uns bei allen helfenden Menschen bedanken, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Aber egal was noch kommt, egal wie viele Personen noch in den Fokus der Ermittelnden gelangen, wir werden zusammenstehen. Wir werden den Ermittlungsbehörden nicht die Deutungshoheit über das Geschehen überlassen. Weit über dieses Verfahren hinaus, wollen wir mit allen aktiven Antifaschist*innen unsere Erkenntnisse teilen, das Vorgehen der staatlichen Repressionsorgane durchleuchten und deren Taktiken öffentlich machen.
Bis die Scheiße aufhört
Wir setzen uns dafür ein, dass die Verfahren gegen unsere Genoss*innen eingestellt werden. Weitere darauf basierende Strukturermittlungsverfahren sind sofort öffentlich zu machen und ebenfalls einzustellen. Die „Soko LinX“ gehört aufgelöst und die dafür bereitgestellten Gelder an Opferberatungsstellen überwiesen.
* An dieser Stelle befand sich zuvor ein Zitat aus „Mit Nazis reden“ von Wiglaf Droste. Nach mehreren eingegangenen Hinweisen und einer dazu erfolgten Recherche haben wir uns dazu entschlossen, das Zitat von Wiglaf Droste aus unseren Texten aufrund seiner schwierigenen Positionen zu Kindesmissbrauch in Debatten aus den 90er Jahren zu löschen. Wir beziehen uns hierbei besonders auf seine veröffentlichten Texten „Zur Dialektik von Vatermutterkind“ und „Der Schokoladenonkel bei der Arbeit“, wo er Kindesmissbrauch bagatellisiert und Frauengruppen und neu entstandenen Beratungsstellen zu Kindesmissbrauch Wichtigmacherei und Opfer-Gestik unterstellt. In Folge dessen wurden Veranstaltungen von ihm und Anhänger*innen dieser Meinung von autonomen Feministinnen blockiert und gestört. Wir bedanken uns für die erfolgte Kritik, die uns zuvor leider nicht bekannt war.