Die letzten Jahre waren in Deutschland so sehr wie in keinem anderen europäischen Land von rechtem Terror geprägt. Die Mordanschläge in Halle, Hanau und Kassel stellen jedoch nur den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung dar und sind Ausdruck einer breit vernetzten und unaufhörlich agitierenden faschistischen Bewegung, deren Verbindungen in die Sicherheitsbehörden und zum Militär in den letzten Jahren nur allzu deutlich wurden. Diese Bewegung hat viele Gesichter. Sie zeigt sich in rassistischen Parlamentsreden oder in Nazi-Chats unter Polizeibeamten ebenso wie in faschistischen Terroranschlägen oder der alltäglichen rechten Straßengewalt. Die Existenz einer rechten Bedrohung für alle Menschen, die nicht in ihr faschistisches Weltbild passen, kann heutzutage selbst von den Sicherheitsbehörden kaum mehr von der Hand gewiesen werden.
Die Unfähigkeit und der Unwille der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden, gegen diese rechte Bedrohung vorzugehen und die faschistische Bewegung nachhaltig zu schwächen, kommen nicht nur in den nahezu wöchentlich bekannt werdenden Verstrickungen deutscher Nazis in eben jene Behörden zum Ausdruck. Einige der bekanntesten Beispiele hierfür sind die zahlreichen ungeklärten Verstrickungen von NSU und Verfassungsschutzämtern, das Nordkreuz-Netzwerk, der sogenannte „NSU 2.0“ in Frankfurt am Main sowie das dortige wegen Nazichats aufgelöste SEK, das sächsische MEK oder die kürzlichen Skandale um die Soko LinX (siehe: Soko-LinX). Hinzu kommen eine endlos wiederholte Entpolitisierung rechter Gewalt, etwa durch die Ermittlungsthese von verwirrten Einzeltätern, und eine strukturell in den Behörden tief verankerte rechte Gesinnung. Hintergrund alldessen ist, dass die meisten Nazis nicht unbedingt in einem unversöhnlichen Verhätlnis zum deutschen Staat stehen und keine Bedrohung für die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse darstellen.
Aus alledem folgen zwei Dinge: Erstens, der Kampf gegen den organisierten Faschismus ist heute in Deutschland noch immer wichtig und notwendig, für einige sogar existenziell. Zweitens, die staatlichen Behörden sind kein Akteur, auf den man sich in diesem Kampf verlassen kann und sollte. Deshalb muss das Vorgehen gegen Nazis auf allen Ebenen selbstorganisiert und unabhängig erfolgen.
Rechtsterroristische Bestrebungen im thüringischen Eisenach
Zwei Bundesländer, die bundesweit besonders für ihre ausgeprägten faschistischen Strukturen und die Unfähigkeit der jeweiligen Behörden im Vorgehen gegen diese bekannt sind, sind Sachsen und Thüringen. Es sind jene Bundesländer, in denen sich die angeblichen Auseinandersetzungen der von Bundesanwaltschaft und Soko LinX konstruierten Vereinigung abgespielt haben sollen.
Die thüringische Stadt Eisenach, in welcher sich der NSU enttarnte, gelangte in den letzten Jahren durch ihre lokale gewalttätige Nazisszene zu trauriger Berühmtheit. Immer wieder kam es zu gewalttätigen Angriffen auf Antifaschist:innen und NS-Schmierereien, welche zeitweise fast das gesamte Stadtbild prägten. Die Eisenacher Nazis um die Gruppe „Nationaler Aufbau Eisenach“ und die eng damit zusammenhängende Kampfsportgruppe „Knockout 51“, angeführt von jungen Nazis wie Leon Ringl, Kevin Noeske und Maximilian Andreas, erschafften durch ihr Agieren eine Art Drohkulisse. Eine zentrale Rolle für die Organisation der lokalen Naziszene nahmen Lokalitäten wie die Thüringer NPD-Zentrale „Flieder Volkshaus“ und die von Ringl betriebene Nazikneipe „Bull’s Eye“ ein. Ähnlich wie andere thüringische Nazi-Schlägergruppen wie Jungsturm oder Kollektiv 56, zu welchen es Verbindungen und personelle Überschneidungen gibt, zeichnen sich die Nazis von Knockout 51 durch eine hohe Gewaltbereitschaft und Vernetzung in rechtsterroristische Strukturen aus. Die Sicherheitsbehörden unternahmen lange wenig bis nichts gegen die Situation in Eisenach. Mehr zu den dortigen Nazistrukturen ist an anderer Stelle dokumentiert.
Wie in Deutschland von staatlicher Seite mit organisiertem Rechtsterrorismus umgegangen wird, konnte man in den letzten Monaten beobachten: Während sogar das US-Außenministerium in Erwägung zieht die „Atomwaffendivision Deutschland“ – zu welcher mindestens Leon Ringl, eines der angeblichen „Opfer“ aus Eisenach zu rechnen ist – auf die Liste ausländischer Terrororganisationen zu setzen und die Opposition im Bundestag bemängelt, nicht ausreichend über Struktur und Gefährlichkeit der Terrorgruppe informiert zu werden, hüllen sich die deutschen Sicherheitsbehörden in Schweigen.
Dies steht im deutlichen Kontrast zu der aktiven Öffentlichkeitsarbeit, die die Behörden in Kooperation mit diversen konservativen bis rechten Medien im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die nach § 129 StGB angeklagten Antifaschist:innen betreiben, denen vorgeworfen wird, gegen eben jene Nazis vorgegangen zu sein. Die hier erfolgende gezielte und öffentlich inszenierte Repression gegen Antifaschist:innen zeigt einmal mehr deutlich auf, wo die staatlichen Behörden ihre Gegner verorten – nämlich links. Nicht die Faschisten und ihre Terrorpläne werden öffentlich problematisiert, sondern jene, denen vorgeworfen wird, sich gegen eben diese eingesetzt zu haben, werden als Terroristen dargestellt.
Sächsische Nazis: Keine Opfer, sondern Täter
Doch auch bei den anderen angeblich durch die vermeintliche Vereinigung Geschädigten handelt es sich nicht gerade um Vorzeige-Opfer. Da wäre zunächst der seit vielen Jahren auf Bewährung befindliche und mehrfach wegen Gewaltstraftaten vorbestrafte ehemalige Leipziger NPD-Kreischef Enrico Böhm, welcher mehrere NS-Versandhandel betreibt und schon mehrfach durch Angriffe auf Personen, die nicht in sein faschistisches Weltbild passen, in Erscheinung getreten ist. Außerdem soll laut Anklage auch der Wurzner JN-Aktivist und regelmäßige Besucher von Naziaufmärschen Cedric Scholz unter den mutmaßlich Angegriffenen sein. Dieser beteiligte sich u.a. am sogenannten „Sturm auf Connewitz“, bei dem über 250 Faschisten und rechte Hooligans randalierend durch den linken Leipziger Stadtteil zogen, Gewerbeflächen und Kneipen zerstörten und Anwohner:innen attackierten.
Ebenfalls an diesem Angriff beteiligt hatte sich Brian Engelmann, den mutmaßliche Mitglieder der angeblichen Vereinigung laut der Konstruktionen der Ermittlungsbehörden „ausgespäht“ haben sollen. Der rechte Kampfsportler ist bekannt für seine Verbindungen zu gleichgesinnten sächsichen Polizisten und seine Gewaltbereitschaft. Unter anderem schaffte er es mehrfach in die Schlagzeilen, weil er sich als Rechtsreferendar an den rechten Ausschreitungen in Connewitz beteiligte und mit seinen NS-Tattoos oberkörperfrei nach einer Kampfsportveranstaltung poste. Vor Gericht versuchte er übrigens, sich als Opfer zu präsentieren und behauptete, er sei in Connewitz gewesen, um „ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen“. Seine juristische Karriere kann er aller Voraussicht nach dennoch fortsetzen. Ebenfalls als „Opfer“ dargestellt wird eine Gruppe Neonazis um den JN-Aktivisten Lucas Zahner, die im Februar 2020 in Wurzen auf der Rückkehr von einem der größten jährlichen Nazi-Aufmärsche anlässlich der Bombardierung Dresdens in eine Auseinandersetzung mit Antifaschist:innen geraten waren. Dass gerade Wurzen seit vielen Jahren ein massives Problem mit rechter Gewalt hat, welche regelmäßig in brutalen Angriffen auf migrantisch wahrgenommene und linke Personen gipfelt, scheint dabei niemand thematisieren zu wollen. In Erinnerung geblieben sind etwa der versuchte Angiff auf Journalist:innen sowie Teilnehmer:innen einer linken Kundgebung unter anderem mit einer Machete oder der Angriff auf eine 19-jährige schwangere Eritreerin, welche mit den Worten „Wir wollen keine Ausländerbabys mehr“ attackiert und nach dem Angriff in einem nahegelegenen Krankenhaus behandelt werden musste. Das sind jedoch leider nur einige von vielen Beispielen rechter Gewalt in Wurzen.
Antifaschismus: Kein Terrorismus, sondern notwendig
All diese vermeintlich Geschädigten stehen exemplarisch für ein massives gesellschaftliches Problem mit rechter Ideologie und rechter Gewalt. Sie alle werden durch die Ermittlungen, durch die mediale Inszenierung des Verfahrens und durch den bevorstehenden Gerichtsprozess, welcher bewusst auf höchster Ebene geführt wird, von Tätern zu Opfern stilisiert. Die Nazis selbst fühlen sich wohl in dieser Opferrolle und arbeiten seit Monaten an einer öffentlichen Kampagne gegen vermeintlich linke Gewalt.
Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, dieses Verfahren nach § 129 an sich zu ziehen, unter großem öffentlichen Druck eine Vereinigung zu konstruieren, die „an der Schwelle zum Terrorismus“ stehe, und vermeintliche Mitglieder vor dem Oberlandesgericht anzuklagen, stellt eine politische Positionierung dar und zeigt, was Antifaschismus den deutschen Sicherheitsbehörden bedeutet. Wir erwarten deshalb einen politischen Prozess, in dem die Beschuldigten stellvertretend für eine antifaschistische Bewegung verfolgt werden sollen.
Für uns als Solidaritätsbündnis Antifa Ost steht fest: Angesichts der Vorwürfe stehen wir solidarisch hinter den Angeklagten. Antifaschismus ist kein Verbrechen und erst recht kein Terrorismus, sondern notwendig und legitim.
Freiheit für Lina, Dy und alle anderen inhaftierten Antifaschist:innen!
Antifaschismus verteidigen!