Bericht vom 5. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren nach §129 am OLG Dresden
Am 5. Prozesstag wurden zwei Zeug:innen zum Fall Enrico Böhm verhört, welche beide eine Frau gesehen haben wollen, die sich jedoch in keinerlei Hinsicht ähnelten und offensichtlich nicht identisch waren. Eine weitere Aussage zum Fall des Kanalarbeiters Tobias N. bestätigte lediglich die Aussage dessen Arbeitskollegen aus der vorangegangenen Sitzung und berichtete von seiner Recherche zur Nazi-Label „Greifvogel“-Mütze des Verprügelten. Im Anschluss gab es ein Rechtsgespräch bezüglich der Einführung von Audiomitschnitten der Innenraumüberwachung eines Fahrzeugs. Die Verteidigung legte Widerspruch gegen die Verwertbarkeit als Beweismittel ein. Der Vorsitzende vertagte die Entscheidung hierüber. Die Mitschnitte wurden gehört und im Anschluss von der Verteidigung auch inhaltlich als nicht relevant und belastend bezeichnet.
Am 5. Prozesstag am OLG Dresden wurde Lina um 8:40 Uhr mit einem noch größeren Aufgebot an bewaffnetem BFE zum Gericht gefahren.
Die Verhandlung begann um 9:40, nachdem alle Angeklagten unter Applaus den Saal betreten haben.
Zunächst erklärte der Richter bezüglich eines Antrags wegen des Hinzuziehens weiterer Vorstrafen- und BZR-Register von Nazizeugen, welcher am vorhergehenden Prozesstag gestellt wurde, dass er ihn ablehnt.
Dann wurde die erste Zeugin zum Fall Enrico Böhm in den Saal gerufen. Diese Zeugin1, eine Nachbarin von Böhm, berichtete, dass sie am Tattag, den 02.10.2018, gegen 7:15 das Haus verließ, eine Person in ihrem Hauseingang stand und drei weitere dunkel gekleidete, maskierte Personen zwei Eingänge weiter standen. Zudem erkannte sie eine Person auf der anderen Straßenseite wieder, da sie diese schon zuvor, an einem anderen Tag, dort hat stehen sehen. Laut polizeilicher Vernehmung hat sie nur vier Personen gesehen, konnte sich bei ihrer Aussage daran nicht erinnern und blieb bei fünf. Eine der drei Personen zwei Aufgänge weiter beschrieb sie als Frau mit Bobschnitt und geradem Ponny. Diese Person hatte auch ein Tuch oder einen Schal im Gesicht und eine Wollmütze auf. Sie konnte nur kurz die Augen sehen und sah sich nicht in der Lage, jemanden wiederzuerkennen. Die Zeugin1 sagte, dass sie die Gruppe passierte und kurz darauf Schreie hörte, sich umdrehte und sah, wie jemand zusammengeschlagen wurde. Sie konnte nicht sagen, ob die Personen, die sie zuvor beschrieben hat, an der Schlägerei beteiligt waren. Eine weitere Nachbarin kam hinzu und sie riefen die Polizei. Die Situation dauerte nur Sekunden, sodass sie sich nicht an eine Flucht erinnern konnte und nur noch wusste, dass alle verschwunden waren, auch die Person, die zusammengeschlagen wurde.
Im Haus wohnt auch Frau S., von Beruf Polizistin, welche zu der Situation dazukam und scheinbar die Zeugin aufgefordert hat, ein Gedächtnisprotokoll zu verfassen. Die Zeugin1 wurde vom Richter mehrfach befragt, wie groß die Frau war, die sie gesehen hat. Die Zeugin1 erwiderte immer wieder, dass sie das nicht sagen könne. Sie sei größer gewesen, aber wie groß, wisse sie nicht.
Die Verteidigung rügte den Vorsitzenden für diese Art der Befragung und Protokollierung und es folgte ein Schlagabtausch zwischen den beiden Parteien. Die Art der Vernehmung, wobei immer wieder Vorhalte aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen protokolliert werden, wenn Zeug:innen sich nicht mehr erinnern können, wurde beanstandet. Die Art der Befragung sei suggestiv und würde die Zeug:innen in die Ecke drängen.
Der Vorsitzende Schlüter-Staats wies, wie auch bisher, alle Beanstandungen zurück und stimmte lediglich zu, die Verlesung der Protokolle zu verschieben, sodass die anderen Parteien noch die Möglichkeit hätten, selbst fragen zu stellen. Einen Antrag, die Sitzung zu unterbrechen, um eine Begründung zu schreiben, lehnte er zunächst auch ab, gestand der Verteidigung dann jedoch die Hälfte der geforderten Zeit zu – jedoch nicht, ohne zu kommentieren, diese Zeit müsse für einen solch simplem Fall reichen. Nach der Unterbrechung ließ sich der Senat viel Zeit, eh er den Saal wieder betrat. Der Vorsitzende formulierte ein „Friedensangebot“, wie er es nannte. Das bestand darin, dass er die Fragen zur der Größe einstelle. Antragsteller Nießing zog seinen Antrag daraufhin zurück.
Im Anschluss wurde die Zeugin1 erneut in den Saal geholt und es stellte sich heraus, dass ihre Polizei-Nachbarin einen detaillierten Bericht der Zeugin1 an ihre Kolleg:innen weiterleitete. Die Zeugin1 war sich nicht mehr sicher, wo ihre Notizen geblieben sind und wusste auch nicht, dass ihre Nachbarin ihre Schilderungen weitergegeben hat. Sie wurde später zu einer Vernehmung abgeholt und dann aufgefordert, ein Phantombild der Person zu erstellen, die sie als Frau wahrgenommen hatte. Dieses Bild wurde trotz Widerspruch der Verteidigung in der Sitzung gezeigt. Die Zeugin1 sagte, dass sie eigentlich keine Person hätte beschreiben können und selbst die erstellende Beamtin das Bild als unfertig und nicht brauchbar bezeichnete und es nicht verwendet werden würde. Nach einer langen Vernehmung mit diversen Auseinandersetzungen zwischen Senat und Verteidigung, gab es eine halbstündige Mittagspause bis 13:30.
Nach der Pause kam Arnd Hohnstädter, der Nebenklageanwalt von Enrico Böhm, hinzu und setzte sich neben den bereits seit Beginn anwesenden Tripp (vertritt Leon Ringl), welcher seine Referendarin im Zuschauer:innenraum Platz nehmen ließ. Zudem saß auch seit Verhandlungsbeginn ein neuer Nebenklageanwalt Kuhlini, im Saal, der zunächst als Vertretung für Kohlmann auftrat, jedoch auch selbst beigeordnet werden wollte.
Die zweite Zeugin des Tages sagte ebenfalls zum Böhm-Komplex aus. Sie hat sich eigeninitiativ bei der Polizei gemeldet, nachdem sie am Tattag im Radio hörte, dass etwas in der Gegend passiert sei, da sie am Morgen eine Gruppe aus vier vermummten Personen auf Fahrrädern gesehen hätte. Sie beschrieb ihren Weg zur Arbeit und führte aus, sie hätte die vier Personen auf einem Parkplatz stehen sehen und kurz darauf seien alle gleichzeitig auf die Räder gestiegen und an ihr vorbei gefahren. Eine der Personen beschrieb sie als weiblich, da aus der Sturmhaube eine hellblonde Strähne hervorguckte.
Bei der Vernehmung konnte sich die Zeugin2 nicht mehr an die Richtungen erinnern, in die die vier gefahren sind und es begann ein ähnlicher Disput um die Verlesung des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, wie bei der Zeugin1. Dieser endete mit Zurückweisung der Beanstandungen durch den Senat.
Die Vernehmung ging weiter und die Bundesanwaltschaft konzentrierte sich vor allem auf die blonde Strähne. Der Vorsitzende nutzte seine Vorliebe für Vergleiche auch hier, um die Zeugin2 zu fragen, welcher blonden Person im Raum denn die Haarfarbe der besagten Strähne am Nächsten käme.
Der Vorsitzende wollte dann erneut das polizeiliche Vernehmungsprotokoll verlesen und die Verteidigung beantragte eine weitere Unterbrechung, um ihre Widersprüche zu begründen. Nach kurzer Diskussion gestand der Vorsitzende ihnen 25 Minuten zu, um diese zu bearbeiten. Nach der Unterbrechung wurde kurz die Erklärung verlesen und der nächste Zeuge in den Saal gerufen.
Der dritte Zeuge, ein Arbeitskollege des Geschädigten N., sprach zum Tatkomplex Kanalarbeiter. Im großen und ganzen bestätigte er die Aussagen seines Kollegen B. vom 4. Verhandlungststag. Er nahm wahr, wie eine vermummte Person seinem Kollegen B. eine Dose vorhielt und sinngemäß äußerte „Von euch wollen wir nichts, wir haben es auf den Nazi abgesehen“. Den Angriff auf seinen Kollegen N. konnte er nicht sehen, da dieser von dem Firmen-LKW der Kanalarbeiter verdeckt wurde. Nachdem eine Straßenbahn am Ort hielt, sah der Zeuge, wie mehrere vermummte und schwarz gekleidete Personen davonrannten. Anschließend begab er sich auf die andere Seite des LKW und entdeckte den verletzten N., half diesem und beförderte ihn zusammen mit dem Kollegen B. in ein nahe gelegenes Hostel. Als der Geschädigte schon vom RTW abtransportiert wurde, brachte ihm die Wirtin des Hostels eine Mütze, sowie die Tasche des N. Erst hier bemerkte der Zeuge, dass es sich womöglich um eine Mütze eines rechten Modelabels handeln könnte. Noch vor Ort stellte der Zeuge Internetrecherchen mit seinem Smartphone an, die ihm bestätigten, dass es sich bei der Mütze um ein Kleidungsstück des ultra rechten Modelabels names Greifvogel handelte. Der Zeuge wurde nach wenigen Nachfragen entlassen.
Im Anschluss an die Vernehmungen verkündete der Senat seinen Beschluss zum Widerspruch vom 14.09. gegen die Einführung der Audiomitschnitte der Innenraumüberwachung des PKWs eines Beschuldigten. Der Widerspruch wurde abgelehnt, die Verwendung diene der Aufklärung, ob eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vorliege und sei daher, ungeachtet ob die Mitschnitte aus einem anderen Verfahren kommen, auch in dem jetzigen Verfahren zu verwenden. Ob das Gehörte letztlich auch zur Beweisverwertung genutzt werden kann, ist eine Rechtsfrage, die nach Aussage des Vorsitzenden, zur gegebenen Zeit geklärt werden muss.
Im Anschluss wurde die Audiodatei vorgespielt, woraufhin einige der Verteidiger:innen der Verwertbarkeit ein weiteres Mal widersprachen. Laut ihnen verstöße die Beweismittelverwertung gegen den Verhältnissmäßigkeitsgrundsatz, es liege objektiv keine kriminelle Vereinigung vor, also auch keine Straftat, die einen derartigen Lauschangriff rechtfertigen kann. Schon im Ursprungsverfahren ist ein derartiger Eingriff in die Grundrechte strittig, in dem jetzigen jedoch eindeutig illegal. Auch sind sogenannte Anschlussstraftaten, die nicht im Zusammenhang mit einer kriminellen Vereinigung stehen, keine Straftaten, in denen solche Maßnahmen angewandt werden dürfen.
Oberstaatsanwältin am Bundesgerichtshof Alexandra Geilhorn nutzte die Möglichkeit, um ihrerseits die Sichtweise des Generalbundesanwalts vorzustellen. So wäre der Tatverdacht hinsichtlich des §129 StGB bereits bejaht, zudem wären einmal rechtmäßig eingeführte Beweise auch nach Wegfall der Katalogstraftat weiter zu verwerten.
Weitere Verteidiger:innen schlossen sich im Folgenden dem vorherigen Widerspruch ihrer Kolleg:innen an und erklärten, dass selbst im Falle von mehreren Personen begangene, politisch motivierte Straftaten keine Vereinigung im Sinne des §129 erklären. Wie schon in der Eingangserklärung erläutert, könnte sonst jede Sitzblockade zukünftig nach diesem Paragraphen verfolgt werden.
Weiter verdeutlichte die Verteidigung, dass sich ungeachtet der Verwertbarkeit der gehörten Mitschnitte, daraus keinerlei Tatverdacht gegen die Angeklagten ergibt.
Anschließend an das Rechtsgespräch legte der Vorsitzende dar, er beabsichtige Enrico Böhm am nächsten Tag zu vernehmen, woraufhin RA Nießing die Aussetzung des Verfahrens, hilfsweise die Abladung Enrico Böhms beantragte, da zu seiner Person noch Akten geprüft werden müssen bzw. angefordert werden sollten.
Hohnstädter, der Nebenklagevertreter von Enrico Böhm, versuchte, seinen Mandanten ein weiteres mal als Opfer schwerer Verbrechen zu stilisieren, wurde aber schnell vom Vositzenden unterbrochen.
Die Verhandlung wurde zur Entscheidungsfindung über den vorher gestellten Antrag unterbrochen, um in gewohnter Manier des Vorsitzenden schließlich die Ablehnung zu verkünden.
So endete die Verhandlung um 17.45 Uhr, nächster Termin ist der 22.09.21 um 9:30 Uhr.