Bericht vom 23. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 06.01.22
An diesem Prozesstag waren zwei rassistisch geprägte Polizeizeuginnen geladen, welche ihre Arbeiten im Tatkomplex Enrico Böhm und zu dem Kanalreiniger mit neonazistischer Mütze vorstellen sollten. Zwischen den Aussagen wurden Widersprüche in Bezug auf die Einführung und Verwertung privater Dokumente diskutiert und die Verhandlung wurde verhältnismäßig früh unterbrochen.
Zu Beginn des 23. Prozesstages drohte der Vorsitzende einem der Angeklagten mit einem Ordnungsgeld, da er sich nicht respektvoll erhoben hat, als die Richter:innenschaft den Saal betrat.
Als Nebenklagevertreter war erneut ausschließlich der Nazianwalt Manuel Tripp anwesend.
Die erste Zeugin war die 49-Jährige Kriminalhauptkommissarin Nicole Schmidt aus Leipzig. Sie war zuständig für die Erstellung eines Phantombilds einer Person, welche an dem Angriff auf Böhm beteiligt gewesen sein soll. Die Zeugin, welche die Beschreibung für das Bild abgab, wurde bereits gehört.
KHM‘in Schmidt konnte sich an die Vernehmung der Zeugin und an das Erstellen des Bildes nicht mehr erinnern und sich lediglich auf ihre Aufzeichnungen beziehen.
Aus diesen geht hervor, dass das Phantombild unvollständig sei, sich die Zeugin weder an die Mund- noch Nasenpartie erinnern konnte und die Augenpartie der Erinnerung nur nahe kam, sie sich jedoch nicht sicher gewesen sei. Die Beamtin habe kaum Einblick in die Fälle, sie werde nur von den Sachbearbeitenden angerufen, um mit den Zeug:innen zusammen die Phantombilder zu erstellen. Hierzu hat sie Zugriff auf die vorangegangene Vernehmung und die jeweils getätigte Personenbeschreibung. Anschließend wurde sie zu ihrer Arbeitsweise und dem Programm befragt, mit dem sie die Bilder erstellen würde. Sie sagte aus, in Sachsen nutze die Polizei das Programm „Facette“ für Phantombilderstellungen. Die Ermittler:innen könnten hierfür verschiedene Vorauswahlen treffen, zum Teil mit rassistischer Konnotation. Auf die Frage der Verteidigung, ob die Zeugin auch mit dem Programm (ISIS), das das BKA nutze, vertraut sei, gab sie an, dass sie nur Schulungen zu Facette gehabt hätte. Mit welcher Version sie arbeite, konnte sie erst im Zuge einer Vorführung des Programms beantworten.
Sie demonstrierte dann das Programm für die Verfahrensbeteiligten und erklärte, dass dieses nur Bilder in schwarz-weiß erstellen könne und neben den Vorauswahlen noch verschiedene Einschränkungen hinzu kämen, die die Auswahl verringern können. Bei den Augen gäbe es die meisten Varianten, hierzu wurden verschiedene Zahlen genannt, es waren jedoch über 600. Sobald sie jedoch „mandelförmig“ als Vorauswahl treffe, würden nur noch etwa 15 Augenpaare angezeigt. Vor allem bei dieser Erläuterung äußerte sich die Zeugin wiederholt unbedacht rassistisch.
Für die Erstellung eines Phantombilds mit allen einzelnen Komponenten und deren individueller Anpassung, wie schmaler, breiter, enger etc., brauche sie in der Regel eine Stunde. Sobald es länger dauere, würde es meist „Mist“. Auf die Frage der Verteidigung, ob dann etwa eine Dreiviertelstunde nur für die Augenpartie hochgerechnet nicht auch „Mist“ sei, antwortete sie, dass sie das so nicht sagen könne, Augen bräuchten immer am längsten. Laut ihrer Aussage seien Kinder und alte Menschen die besten Zeug:innen. Nach der Erstellung würde das Bild an die Sachbearbeitenden zurückgeschickt und dort archiviert, die einzelnen Schritte der Erstellung würden jedoch nicht gespeichert. Zusätzlich zu Komponenten im Gesicht, könnten noch Haare, Mützen, Schals, Kapuzen usw. hinzugefügt werden.
Der Vorsitzende versuchte während der gesamten Befragung die Zeugin dazu zu bringen, herauszufinden, welche Komponenten für das Phantombild genutzt wurden, das eine der angeklagten Personen darstellen soll. Hierfür verlangte er Screenshots von der Auswahl der Mützen und Augen (mandelförmig).
Während der Befragung durch die Verteidigung kam es erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen dieser und der BAW, die versuchte Fragen der Verteidigung mit kleinkarierten Beanstandungen zu behindern.
Die Zeugin wurde gegen 11:40 Uhr entlassen.
Im Anschluss an diese Vernehmung verlas eine der Verteidiger:innen einen Widerspruch gegen die Einführung und Verwertung persönlicher und intimer Schriftstücke, die keinen Bezug zu Tatvorwürfen haben. Der Vorsitzende merkte hierzu nur kritisch an, dass seine am Vortag angekündigten Einschränkungen bei der Einführung dieser Unterlagen wohl nicht reichen würden.
Es folgte eine Diskussion darüber, was unverhältnismäßig sei, was als intim gelte und worauf sich der Begriff der „tagebuchähnlichen“ Aufzeichnungen beziehe.
Sowohl die BAW als auch der Vorsitzende widersprachen den Einschätzungen der Verteidigung und anschließend wurde die Verhandlung für die Mittagspause unterbrochen.
Nach der Pause verkündete der Vorsitzende, dass er keine Veranlassung sehe, der Gegenvorstellung der Verteidigung bezüglich des Modus Operandi nachzukommen. In Bezug auf die privaten Unterlagen kam er der Forderung den Brief auszunehmen nicht nach, blieb bei seinen Einschränkungen und stimmte zu, Notizzettel auszunehmen, jedoch betonte er, dass er nicht der Begründung nachkomme und sie nicht unzulässig wären.
Hiernach wurde eine weitere Zeugin geladen, die 31-Jährige Polizeibeamtin Nadine Elsner aus Leipzig. Sie war Sachbearbeiterin in den ersten Ermittlungen zu dem Kanalarbeiter mit neonazistischer Mütze und wurde geladen, um ihre Ermittlungen darzustellen und über vergleichbare Taten im Zeitraum 2016-2018 zu sprechen.
Sie war zwei Monate lang für den Fall zuständig, bis sie diesen dem sächsischen Staatsschutz übergeben musste. In dieser Zeit habe sie alle Zeug:innen vernommen und Hintergrundrecherchen zu ihren Erkenntnissen vorgenommen. Der Vorsitzende bat darum, die Verknüpfung zwischen dieser Tat und anderen darzustellen, woraufhin die Zeugin ihre rassistische Ermittlungsarbeit darlegte. Hierdurch geriet eine Person in den Ermittlungsfokus allein aufgrund des Geburtsortes, die Zeugin betonte jedoch, dass die Ermittlungen gegen diese Person mittlerweile eingestellt seien. In Bezug auf ähnliche Taten in der Gegend und in dem Zeitraum gab die Zeugin zunächst an, nicht viel zu wissen, es käme jedoch häufiger vor, dass es Körperverletzungen und Sachbeschädigungen aufgrund von politischen Kleidungsstücken oder Kennzeichen mit rechten Szenecodes und Aufklebern auf Autos gäbe. Einige dieser Taten wurden detaillierter geschildert und es stellte sich heraus, dass diese variantenreich auftreten.
In Hinsicht auf das hiesige Verfahren arbeitete sie an dem Fall zu Cedric Scholz, indem sie vor Ort Bilder machte, Videoaufnahmen der Bahn auswertete und Zeug:innen befragte. Sie konnte sich jedoch nicht erinnern, dass sie auch zu dem Fall Böhm gearbeitet hätte. Einer der Richter wies sie darauf hin, dass sie in diesem Fall ebenso Überwachungsbilder aus einer S-Bahn beantragt habe und diese auch bekommen hätte, es handelte sich jedoch um die falsche Bahn. Trotz dieser Schilderung konnte sie sich nicht an diesen Fall erinnern.
Der Vorsitzende stellte nach dieser Befragung enttäuscht fest, dass er anderes von der Aussage erwartet hätte und dachte, die Zeugin hätte einen umfassenden Überblick zu Straftaten mit politischen Hintergrund im Süden Leipzigs und könne diesen teilen.
Die Verhandlung wurde somit schon um 14:20 Uhr unterbrochen. Fortsetzungstermin ist der 12.01.2022 um 09:30 am OLG Dresden.