Bericht vom 24. Prozesstag – 12.01.2022

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Bericht vom 24. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 12.01.2022

Am heutigen Prozesstag sagte der zuvor schon mehrfach nicht erschienene Zeuge Benjamin Schwelnus zum Tatkomplex Wurzen aus und es wurde eine Sachverständige gehört, welche zu den Verletzungen von Tobias Nees aussagen sollte. Zudem wurden Beanstandungen der Verteidigung zur Einführung privater Schriften zurückgewiesen, eine Erklärung der Verteidigung zum Phantombild der letzten Woche verlesen und ein Antrag zum Verfahrensstand in Bezug auf eine gesondert verfolgte Person im hiesigen Verfahren gestellt.

Der 24. Prozesstag begann mit der Zurückweisung der Beanstandung zur Einführung eines privaten Briefes, welcher bei einer der Hausdurchsuchungen bei einem Angeklagten gefunden wurde. Der Vorsitzende begründete, dass der Brief eine mittelbare Beweisbedeutung habe, sich auf die Existenz einer Gruppe beziehe und intime Themen, die die Beanstandung betreffen könnten, nur Personen betreffen, die nicht namentlich genannt würden und widersprach der Auffassung, dass private Briefe nicht eingeführt werden dürften. Daraufhin kündigte die Verteidigung eine Erklärung für den morgigen Prozesstag an.

Während einer Erklärung der Verteidigung zu dem unfertigen Phantombild, welches am vorhergehenden Verhandlungstag behandelt wurde, betrat Nebenklageanwalt Manuel Kruppe, ehemals Manuel Tripp, den Saal. In der Erklärung führte die Verteidigung aus, dass die Zeugin in der Vernehmung zur Erstellung eines Phantombilds durch KHM‘in Schmidt keinerlei Erinnerung an Nase- und Mundpartie hatte und in Bezug auf die Augen lediglich sagte, diese kämen ihrer Erinnerung nahe, sie sei sich jedoch nicht sicher. Auch die Zeit, die benötigt wurde, um nur Augen, Haare, Mütze und Schal zu „zeichnen“ überschreitet den Rahmen, den KHM‘in Schmidt als den beschrieb, bei dem ein vernünftiges Ergebnis entstehen könne, da sonst der Punkt der Reizüberflutung durch die Vielzahl der Optionen erreicht werden würde. Zudem verglich die Verteidigung das erstellte Phantombild mit einem Lichtbild der angeklagten Person, würdigte hierbei eine Vielzahl an Unterschieden und schloss, dass es sich nicht um dieselbe Person handelt.

Der Vorsitzende lobte diese Art von Erklärung, die wirklich hilfreich sei, womit er wohl andere Erklärungen kritisieren wollte. Weiter äußerte er sich nicht zu dem Gesagten.

Im Anschluss wurde der 19-jährige Zeuge Benjamin Schwelnus aus Wurzen in den Saal geholt. Dieser war zuvor mehrfach nicht den Ladungen des Gerichts gefolgt. Dafür brachte er heute zwei Kameraden zur moralischen Unterstützung mit, welche im Zuschauer:innenraum Platz nahmen.

Der Zeuge ist ein Geschädigter des Angiffs auf Faschisten in Wurzen, welche im Februar 2020 gemeinsam nach Dresden zum sogenannten „Trauermarsch“ hin- und zurückfuhren. Schwelnus gab an, dass er sich vor der Demonstration mit Lucas „Lulu“ Wolfgang Zahner und Matthias „Matscher“ Leder bei Lucas getroffen habe. Sie seien aber noch mit Ben Heller und Cedric Scholz am Bahnhof verabredet gewesen, um gemeinsam nach Dresden zu fahren. Er gab an, sich schon 2 Wochen vor der Demonstration persönlich mit ihnen verabredet zu haben. Welchen Zug sie nehmen würden, haben sie jedoch spontan entschieden. Die anderen Mitfahrer kannte er nach eigenen Angaben nicht.

Auf der Demonstration selbst hätte es keine Auseinandersetzungen gegeben, im Zug hätten sie ein paar Linke provoziert, die recht bald nach Dresden ausgestiegen seien und Stinkefinger gezeigt hätten. Laut seiner Aussage hätten sie abgesehen von einer Reichskriegsfahne nichts bei sich getragen, das sie als Rechte identifiziert hätte. Auf die Frage, was die Reichskriegsflagge für ihn bedeute, meinte er, das sei die Fahne des Kaiserreichs. Als der Vorsitzende anschließend wissen wollte, ob Lucas Monarchist sei, meinte der Zeuge, dass man ihn das fragen müsse. Er selbst sei unpolitisch, nicht in der JN (Junge Nationalisten – Jugendorganisation der NPD), kenne die anderen nur vom Biertrinken und wollte bei der Demonstration mal gucken, wie das abläuft.

Im Zug wären auch andere gewesen, die er aber nur als Leipziger identifizieren könne, er kenne sie alle nicht. Auch zu Enrico Böhm sagte er nur, dass ihm der Name geläufig sei. Bei Inaugenscheinnahme der Bilder aus dem Zug erkannte er ihn wohl nicht und konnte sich nicht daran erinnern, dass dieser mit seiner Gruppe gesprochen hat.


Bei dem Angriff in Wurzen war er ganz hinten und gab an, gesehen zu haben, wie „Matscher“ mit einem Teleskopschlagstock angegriffen wurde und sei dann mit den anderen weggerannt. Als er sich umdrehte, habe er gesehen, wie Lucas angegriffen wurde und habe verstanden, dass die Angreifer irgendetwas mit „Lulu“ gesagt hätten. Er selbst wäre schnell genug gerannt und habe nichts abbekommen, Karl Jonas Kaden wäre neben ihm gerannt und habe im Rennen noch eine Bierflasche auf die Angreifer geworfen. Sie seien dann zum Netto gerannt, hätten da noch eine Freundin eines Mitfahrers getroffen, die dann mit ihnen gerannt sei und als Schwelnus feststellte, dass „Matscher“ fehlte, sei er allein zurück zum Bahnsteig gegangen, wo dieser noch lag. Eine Person, die „Matscher“ geholfen haben soll, habe auch die Polizei und den RTW gerufen. Schwelnus habe am Bahnhof gesehen, dass die zerbrochene Reichskriegsflagge in der Unterführung gelegen hätte und dachte, dass ein Teil des Stiels auf den Gleisen lag, konnte sich aber nicht mehr genau erinnern. Zudem gab er an, dass es rund um „Matscher“ nach Pfefferspray gerochen habe.

Der Vorsitzende wollte auch von ihm wissen, wen er hinter dem Angriff vermute. Zunächst habe der Zeuge gedacht, der Angriff hätte Cedric Scholz gegolten, weil dieser politisch aktiv sei, habe dann aber auch in Betracht gezogen, dass es eine Rache für das Überlaufen von Lucas von den Punks zu den „Patrioten“ gewesen sein könnte. Er kenne Lucas schon sein Leben lang, habe aber vorher kaum etwas mit ihm zu tun gehabt. Lucas hätte ein paar Namen von Personen erwähnt, die infrage kämen, hier hatte der Zeuge aber Zweifel, weil er ihnen einen solchen Angriff auf Menschen, die sie kennen würden, nicht zutraue, da man sie ja erkennen könnte.

Auf Fragen zu Darstellungen in seiner Zeugenvernehmung noch am selben Abend antwortete er mehrfach, dass er sich so nicht daran erinnere, die Vernehmung nachts stattgefunden habe und er nicht alle Aussagen nochmal konzentriert gelesen habe, bevor er sie unterschrieb. So wurden Einzeichnungen auf einer Übersichtskarte des Bahnhofs nicht von ihm gefertigt, er habe diese trotzdem unterschrieben. Insgesamt wirkte seine Zeugenaussage vor Gericht sehr sicher und offensichtlich gezielt und vorbereitet.

Bei der Befragung durch die Verteidigung kam es jedoch zu einigen Widersprüchen. In Bezug auf die Demonstration gab der Zeuge nun an, dass diese nicht friedlich verlaufen sei, sondern es mehrere Versuche von Gegendemonstrant:innen gegeben hätte, diese zu stören. Die meisten von ihnen seien vermummt gewesen und es kam zu einer angespannten Situation am Bahnhof, wo alle drei Gruppen, links, rechts, Polizei, sich hätten prügeln wollen. Der Vorsitzende war wie üblich überrascht, dass hier auch die Polizei als Aggressor benannt wurde.


Als die Verteidigung ihn fragte, woher er wisse, dass ein Teleskopschlagstock bei dem Angriff eingesetzt worden sei, sagte er, dass man das ja kenne. Zuvor hatte er angegeben, dass er auch Pfefferspray gerochen habe und die Verteidigung wollte nun wissen, woher er diesen Geruch kenne. Laut seiner Aussage habe ein Kumpel mal eines gehabt und sie hätten sich gegenseitig damit besprüht.

Erneut nach seiner politischen Haltung gefragt, wiederholte er, dass er unpolitisch sei und einen von der Verteidigung angesprochenen Pullover mit der Aufschrift Deutschland und einem Adler, den er auf der Demo trug, zum Geburtstag geschenkt bekommen hätte. Er wisse, dass Lucas, Ben und Cedric in der JN seien, wäre jedoch nie selbst auf einer Veranstaltung oder einer anderen Demonstration gewesen. Die Verteidigung fragte nun nach Ermittlungsverfahren gegen ihn, von denen er wisse. Hier gab der Zeuge an, dass er viele Verfahren habe, aber keine Vorwürfe mehr wisse. In der weiteren Befragung stellte sich heraus, dass er einmal nach einer Festnahme auf einem „Bullenrevier“ den Hitlergruß gemacht hätte, das wurde jedoch eingestellt. Ein anderes Verfahren wegen einer Schlägerei mit einer anderen Gruppe aus Wurzen laufe, hier meinte er, dass es keine Linken gewesen seien, sondern nur Leute, mit denen man sich nicht verstehe. Zudem wurde er im letzten Jahr verurteilt, nachdem er im August 2019 die Scheiben des D5 eingeworfen hat. Er meinte, dies sei eine betrunkene Aktion gewesen und er könne sich an nichts erinnern, auch nicht, mit wem er da war. Er gab an, Sozialstunden und eine Geldstrafe bekommen zu haben und dass er sich entschuldigen sollte. Da er nicht wusste, bei wem er sich entschuldigen sollte, ist er dem nicht nachgekommen.

Der Zeuge wurde unvereidigt entlassen und ihm durch den Vorsitzenden erneut nahe gelegt, beim nächsten Mal gleich zu kommen, das sei billiger.

Im Anschluss an die Befragung des Zeugen stellte die Verteidigung noch einen Antrag zum Verfahrensstand eines gesondert Verfolgten im hiesigen Verfahren. Dessen unterstellte Beteiligung an Taten in Wurzen führe zur Unterstützungshandlung anderer Angeklagter. Sollte sich jedoch herausstellen, dass dieser gar nicht beteiligt gewesen sei, hätten die derzeit Angeklagten eben auch keine Unterstützung leisten können. Der Vorsitzende sehe derzeit keine Veranlassung dem nachzukommen und die Oberstaatsanwältin der Bundesanwaltschaft Geilhorn bezog spontan Stellung dazu und stellte erneut klar, dass sich bisher nichts Entlastendes in Bezug auf die Beteiligung ergeben hätte.

Die späte Mittagspause wurde von 13:35 Uhr bis 14:30 Uhr angesetzt, die Verhandlung wurde jedoch wie immer mit Verspätung fortgesetzt und begann erst wieder 14:45 Uhr ohne Nebenklagevertreter Tripp.

Nach der Pause verkündete der Vorsitzende noch zwei Verfügungen. Zum einen ging es um den schon zu Beginn thematisierten Brief und weitere private Dokumente und zum anderen um das Selbstleseverfahren einiger Aktenbestandteile bis morgen und nächsten Mittwoch. In Bezug auf ersteres verfügte der Richter, dass Passagen aus dem Brief und drei Notizzettel nicht eingeführt werden. Zudem wurde bekannt gemacht, dass die Verhandlung an den Tagen der sächsischen Winterferien nicht stattfinden wird. Dies betrifft die Verhandlungstage 16., 17., 23., 24. Februar 2022.

Die zweite und letzte Zeugin des Verhandlungstages wurde in den Saal gerufen, hierbei handelte es sich um die Rechtsmedizinerin Katrin Metzler von der TU Dresden.

Sie sollte ein Gutachten zu den Folgen und der Gefahr des Angriffs auf Tobias Nees erstellen. Den Auftrag zu der Erstellung erhielt sie jedoch erst zwei Jahre nach der Tat, sodass sie sich ausschließlich auf Lichtbilder berufen konnte. Hierdurch sei das Gutachten eingeschränkt, weil die Lichtbilder nicht alle die ausreichende Qualität aufweisen und manche der Wunden schon so behandelt waren, dass sie daraus keine Schlüsse mehr ziehen könne. Sie schilderte im Anschluss die verschiedenen Verletzungen und ihre Einschätzungen zu möglichen Ursachen dieser. Auf die Nachfrage, ob dieser Angriff lebensgefährlich gewesen sei, antwortete sie, dass alles, was gegen den Kopf gehe, potentiell lebensgefährlich sei, im vorliegenden Fall ließe sich jedoch keine konkrete Lebensgefahr ableiten, der Geschädigte habe auch keine langfristigen Verletzungsfolgen.

Zu den Tatmitteln konnte sie keine konkreteren Angaben machen. Ein Bruch im Gesicht könnte von einem Faustschlag rühren, hierbei wäre jedoch eine immense Kraft von Nöten. Nach ihrer Aussage könnten kampfsporterfahrene Menschen mit einem gezielten Schlag eine solche Verletzung einfacher hervorbringen, als Personen, die diese Erfahrungen nicht hätten. Andere Umstände hätten jedoch auch Einfluss auf die Wirkung des Schlags, wie beispielsweise die Flexibilität des Kopfes des Geschädigten und seine eigene Bewegung in den Schlag hinein oder weg davon.

Somit konnten keine genaueren Erkenntnisse zum Tatgeschehen und den genutzten Tatmittel gewonnen werden und die Zeugin wurde entlassen.

Die Sitzung wurde um 15:40 Uhr geschlossen. Fortsetzungstermin ist der 13.01.2022 um 09:30 am OLG Dresden.