Bericht vom 32. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 02.03.22.
Am ersten Prozesstag nach den Winterferien sollten drei Zeugen gehört werden, die zum Tatkomplex Eisenach I, den Angriff auf die rechte Kneipe Bull‘s Eye, aussagen sollten. Zwei von ihnen sind nicht erschienen und stattdessen wurden Aufnahmen aus der Innenraumüberwachung eines Fahrzeugs gehört, diverse Anträge der Verteidigung durch den Senat abgelehnt und neue gestellt.
Der 32. Prozesstag fand ohne die Oberstaatsanwältin Geilhorn statt, welche krank sei. Vertreten wurde sie durch Hr. Croissant von der Bundesanwaltschaft (BAW).
Der Nebenklagevertreter Tripp erschien nur für 20 Minuten kurz vor der Mittagspause und strich so die Vergütung ein.
Zu Beginn des Verhandlungstags verlas der Vorsitzende Schlüter-Staats einige Beschlüsse und entsprechende Begründung.
Zunächst erklärte er die Inaugenscheinnahme von sechs Audioprodukten, welche aus einem anderen Verfahren nach §129 umgewidmet wurden und nun im hiesigen Verfahren als Beweismittel dienen sollen, als zulässig. Die Verteidigung hat in der Vergangenheit mehrfach gegen die Einführung Widerspruch eingelegt, zuletzt am 03.02.22. Der Vorsitzende begründete die Einführung damit, dass das Beweismittel der Feststellung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung diene. Er stellte heraus, dass auch die anderen vorgeworfenen Taten im Einzelfall schwer wiegen würden. Zudem sei es falsch, dass die Umwidmung ohne rechtliche Grundlage erfolgt sei und der Anfangsverdacht ausreiche und die Verdachtslage auch seit Beginn der Beweisaufnahme nicht entfallen sei.
Der Vorsitzende kündigte an, die Audioprodukte noch am selben Tag einführen zu wollen.
Hiernach wurde der erste Zeuge des Tages in den Zeugenstand gerufen. Es handelte sich um einen Geschädigten aus dem Tatkomplex Eisenach I. Der 47-jährige Zeuge Marcus Fitzner gab an, am 19.10.2019 in der Kneipe Bull‘s Eye gewesen zu sein. Er habe dort viele Kumpels und hätte dort mit ihnen gelabert. Es wäre ein ganz normaler Sonnabend gewesen, ungewöhnlich wäre ihm nur eine Frau vorgekommen, welche gegen 22:30 Uhr in die Kneipe, die ja einen schlechten Ruf habe, gekommen sei und darum gebeten habe, auf die Toilette zu gehen.
Einige Zeit später habe er schon bezahlt und nur noch sein Bier ausgetrunken, als das Licht ausgegangen sei und sich viel Rauch in der Kneipe gebildet habe.
Ein Vermummter mit einem Teleskopschlagstock sei im hinteren Bereich der Kneipe neben ihm aufgetaucht und habe im auf die Schläfe geschlagen, daraufhin sei er zu Boden gegangen und habe sich dort vor Gläsern geschützt, die vom Tresen gefallen seien.
Er wisse nicht mehr, wie er dann aus der Kneipe gekommen sei und vermutete, dass ihm geholfen worden sei. Zuvor habe er viele, viele Biere und Kümmerling getrunken und hatte laut der Messung des Atemalkoholwerts 2,02 Promille. Seine Einschätzung war, dass er lustig gewesen sei, aber noch nicht hinüber. Er habe nicht gemerkt, wie die Menschen reingekommen seien und er habe von seinem Angreifer auch nur die Augen gesehen, könne nicht sagen, ob dies Mann oder Frau gewesen sei. Alles sei schnell gegangen, er könne nichts zu den anderen Angreifenden sagen und auch nichts zu Reizgas.
Zum Zeitpunkt des Angriffs habe er am Tresen gesessen und Leon Ringl, der Wirt, habe ihm gegenüber gestanden, sonst wären vielleicht noch Borni und Kalle da gewesen (Stefan Uwe Bornhardt und Karl-Heinz Leipold), Maximilian Andreas kenne er wegen der Arbeit und auch der Taxifahrer Klaus sei ihm bekannt.
Sie wollten danach noch in den „Klappertopf“ und hätten das Taxi gerufen, um dorthin zu fahren.
Zu seinen Verletzungen gab er an, er habe stark geblutet, wäre ins Krankenhaus gefahren worden und sei dort genäht worden. Im Anschluss habe er sich von seinem Hausarzt untersuchen lassen und sei eine Woche krank geschrieben gewesen.
Der Vorsitzende stellte einige Fragen zu der jungen Frau, die wegen des Toilettengangs gefragt haben soll. Der Zeuge meinte, die Kneipe sei nicht im besten Bilde und um diese Zeit käme da sonst keine Frau alleine rein. Nach intensiverem Nachfragen wurde deutlich, dass es um diese Zeit wohl kein weiteres Objekt im Umkreis gäbe, welches um diese Uhrzeit geöffnet sei.
Er könne sich nicht an Aussehen oder Sprache der Frau erinnern, sie sei jedoch unter 30 Jahre alt gewesen. Als sie reinkam habe er noch im vorderen Raum gesessen und habe sie von dort aus gesehen, könne sich aber jetzt nicht mehr an ihr Aussehen erinnern, nur daran, dass sie deutlich kleiner als er selbst gewesen sei.
Schlüter-Staats versuchte mit einer hochgradig sexistischen und tendenziösen Befragung weitere Angaben zum Aussehen der Frau zu erreichen, doch der Zeuge konnte sich nicht erinnern. Der Vorsitzende war der Meinung, man könne sich an attraktivere Frauen sicher besser erinnern als an unattraktive und auch ein großer Busen würde im Gedächtnis bleiben.
An eine Frau, die beim Übergriff dabei gewesen sein soll, könne er sich gar nicht erinnern, obwohl der Vorsitzende ihm sogar den Namen der Angeklagten vorhielt. Den Namen habe er später einmal gehört und meinte, sie sei die Führerin der Linken, jedoch bringe er dies nicht mit dem Übergriff in Zusammenhang.
Die Verteidigung erfragte anschließend, wie lange sich der Zeuge in der Kneipe befunden hat. Dieser gab an, seit 18:00 oder 19:00 Uhr dort gewesen zu sein.
Zum Ruf der Gaststätte gab er an, dass es eine rechte Gaststätte sei, die man halt kenne und die einen langjährigen Ruf habe, es hätte auch schon einen „Buttermilchanschlag“ gegeben.
Im Anschluss gab der Vorsitzende noch eine Aussage aus der polizeilichen Vernehmung zu Protokoll, an die sich der Zeuge im Saal nicht erinnern konnte. So beispielsweise die Beschreibung der Frau, die nach der Toilette gefragt habe und die Uhrzeit, zu der diese die Kneipe betreten habe.
Die Vernehmung des Zeugen wurde um 11:00 Uhr beendet und der Vorsitzende schlug ihm als ersten Zeugen vor, dass er auch weiter zuhören könne.
Nach der Vernehmung wollte der Vorsitzende die Audiodateien aus der Innenraumüberwachung abspielen, die Verteidigung bat jedoch um eine halbstündige Unterbrechung um eine Erklärung zum gehörten Zeugen zu verfassen.
In dieser nahmen sie Bezug auf das Vernehmungsprotokoll und stellten heraus, dass die Beschreibung der Frau sehr allgemein sei, die konkreteren Angaben jedoch sehr deutlich vom Aussehen ihrer Mandantin abweichen und beantragen vor allem wegen des Abgleichs der Größe, den Personalausweis mit der Größenangabe der Angeklagten einzuführen, um die Differenz zu verdeutlichen. Es sei von der Polizei auch versäumt worden, dem Zeugen eine Wahllichtbildvorlage zu zeigen.
Danach kündigte der Vorsitzende an, dass die Aufnahmen der Innenraumüberwachung erst nach der Pause gehört werden sollten und er nur noch einige Beschlüsse verlesen wolle.
Der erste Beschluss war die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung, die in Bezug auf die DNA-Spur im Tatkomplex Böhm einen Sachverständigen im Bereich Kriminaltechnik beim BKA hören wollte. Dem Senat hätten die drei Mitarbeitenden des LKA gereicht und somit wurde der Antrag abgelehnt.
Im zweiten Beschluss lehnte der Senat den Antrag der Verteidigung, POK Karge zum Tatkomplex Böhm und der Spurensicherung zu hören, ab.
Der dritte Beschluss galt dem Antrag der Verteidigung, einen Journalisten zu hören, welcher nach dem Angriff auf Cedric Scholz von einem Polizisten gesagt bekommen hat, dass dem Angriff ein Streit vorangegangen sei. Laut Senat wäre diese Aussage nach den schon gehörten Zeug:innen unerheblich.
Auch der Antrag der Verteidigung, den Fußballtrainer von Cedric Scholz zu vernehmen, wurde abgelehnt. Laut Senat wäre es für die Beweiserhebung ohne Bedeutung, dass Scholz im Zeitraum des Angriff angeblich auf dem Weg zum Fußball über mehrere Monate nicht am Training teilgenommen hat und eine Sturmhaube bei sich trägt, obwohl er angab, diese nur für das Training zu benötigen.
Einzig ein Antrag zur Vernehmung einer Hundeführerin wurde zugelassen.
Die Verteidigung sah vor allem in der Begründung zum ersten Antrag Lücken in Bezug auf die Begründung.
Es folgte eine Mittagspause, die für eine Stunde ab 12:00 Uhr angekündigt wurde. Die Verhandlung wurde wie immer mit 15-minütiger Verspätung fortgesetzt.
Der zweite geladene Zeuge für diesen Tag, Stefan Uwe Bornhardt, war nicht erschienen und der Vorsitzende führte zunächst drei Audiodateien ein.
In der ersten Aufnahme ging es um die Identifizierung eines Beschuldigten im Verfahren durch das sogenannte Berliner PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt), eigentlich LKA 6. Im Autoradio lief deutlich hörbar ein Beitrag zum europäischen Datenschutz und den Zugriff auf Handydaten, was für zynisches Gelächter sorgte.
Im zweiten Beitrag ging es um Akteninhalte zum ersten Verfahren im Tatkomplex Eisenach II.
Der dritte Beitrag wird von der Bundesanwaltschaft als Indiz für die Tatbeteiligung eines Angeklagten im Tatkomplex Eisenach II interpretiert, da es eine Aussage zu möglicher DNA am Tatort gab.
Die Verteidigung widersprach der Verwertung und begründete dies umfassend. Die Daten wurden in einem anderen §129-Verfahren in Berlin erhoben und ohne rechtliche Grundlage einem Prüfvorgang zugefügt, die Hypothese der Datenerhebung war zu diesem Zeitpunkt nicht rechtmäßig. Die Verwertung von Beweisen, die im Rahmen von Maßnahmen in einem anderen Verfahren erhoben wurden, setzt eine Rechtmäßigkeit voraus. Darum ist die Erhebung im Prüfvorgang und in der Hauptverhandlung rechtswidrig. Die Daten bieten keinen Anhaltspunkt für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung oder einer Tatbeteiligung eines Angeklagten. Der Angeklagte wird nur aufgrund der Innenraumüberwachung wegen einer Tatbeteiligung angeklagt. Es hätte für die Umwidmung der Daten jedoch schon einen Anfangsverdacht für die Tatbeteiligung geben müssen. Mit dem Fall der Vorwürfe zur Tatbeteiligung würde auch der Vereinigungsvorwurf fallen.
Es gibt kein anderes Beweismittel und deswegen dürfen die Daten aus dem anderen Verfahren auch nicht verwertet werden.
Der Vorsitzende kommentierte, dass dies ja nun nichts Neues gewesen sei, woraufhin eine weitere Verteidigerin eine mündliche Erklärung abgab. Die Begründung der Bundesanwaltschaft, dass wenn jemand von DNA-Funden spräche, dies laut der BAW nur darin begründet sein könnte, dass man an der Tat beteiligt gewesen sei, ist falsch. Die DNA kann nicht nur gefunden werden, wenn eine Person vor Ort war. Die Sorge kann auch sein, dass Spuren aus dem Auto, von Kleidung, etc. übertragen werden könnte. Wenn das ein eindeutiger Beweis sein soll, dass der Angeklagte am Tatort gewesen sein muss, dann ist das sehr weit hergeholt.
Nach der Erklärung wurde erneut geschaut, ob der Zeuge mittlerweile erschienen sei, was nicht der Fall war. Die Bundesanwaltschaft schlug 200 Euro Ordnungsgeld oder ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft und die Übernahme der Gerichtskosten, die durch das Ausbleiben verursacht wurden, für den Zeugen vor.
Daraufhin beriet sich der Senat und stimmte der Forderung zu, reduzierte das Ordnungsgeld jedoch auf 100 Euro.
Im Anschluss sollten noch drei weitere Audioaufnahmen gehört werden und auch hier widersprach die Verteidigung der Einführung bzw. Erhebung.
Die erste Aufnahme wurde abgespielt, die Qualität war jedoch so schlecht, dass so gut wie nichts zu verstehen war. So wurde die Inaugenscheinnahme unterbrochen und sich beim BKA erkundigt, ob Herr Wagner einen Filter mitbringen könne, wenn er zur Aussage kommt.
Der dritte Zeuge des Tages, Kevin Seipelt, ist auch nicht erschienen und bekam dieselbe Strafe auferlegt, wie der andere Zeuge.
Zum Schluss verkündete der Vorsitzende noch, dass er die Sitzung Ende Mai, Anfang Juni erneut zu unterbrechen wünscht, da dort ein weiteres Verfahren eröffnet würde, an dem vier der Senatsmitglieder Teil haben würden und der Fünfte würde dort gern Urlaub nehmen. Die Verteidigung und die Zuschauenden reagierte erbost auf diesen Einwurf. Ein Verteidiger meinte, dies sei eine bittere Nachricht und es gilt der Beschleunigungsgrundsatz. Dem Problem ließe sich entgehen, wenn die Haftfrage gestellt wird.
Der nächste Prozesstag ist der 03.03.22 um 09:30 Uhr am OLG Dresden.