Bericht vom 47. Prozesstag – Donnerstag, 28.04.2022

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Bericht vom 47. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 28.04.22

Am 47. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren wurden mehrere Zeug:innen geladen, darunter zwei Polizisten, die jeweils zu unterschiedlichen Tatkomplexen aussagen sollten. Die Verteidigung stellte mehrere Beweisanträge, die unter anderem die Glaubwürdigkeit der Neonazis Leon Ringl und Maximilian Andreas widerlegen sollen sowie der Verwertbarkeit von Gesprächsaufzeichnungen aus PKW-Innenraumüberwachung widersprechen. Unterdessen stellte das Gericht an diesem Tag erneut unter Beweis, mit welch repressiven Maßnahmen es Angeklagten, Zuschauer:innen und Verteidiger:innen entgegentritt.

Erste Zeug:innenvernehmung (Tatkomplex Wurzen)

Bereits der erste geladene Zeuge konnte an diesem Tag lediglich etwas zur Erheiterung der Zuschauer:innen beitragen. Der 69-Jährige Rolf Lehmann fuhr am 15. Februar 2020 vom sogenannten „Bombengedenken“ in Dresden zurück nach Borsdorf. Im Internet habe er im Nachhinein von einem Angriff am Wurzener Bahnhof gelesen und sich daraufhin bei der Polizei gemeldet. Mit einer Mail, in der er geschrieben habe, dass ihm bei der Zugfahrt durch den Wurzener Bahnhof nichts aufgefallen sei. Nach Ende des „würdigen Gedenkens“, wie der Zeuge es nannte, sei er am Dresdener Hauptbahnhof in die Regionalbahn Richtung Leipzig gestiegen, dort habe er am Fenster gesessen. Als der Zug durch Wurzen gefahren sei, habe er am Bahnhof aus dem Fenster gesehen. Bis auf die Leute, die aus dem Zug ausgestiegen seien, sei der Bahnhof sehr leer gewesen. Ihm seien weder vermummte Personen, noch eine männliche Person mit einer Fahne aufgefallen, erklärte er auf Nachfrage des Vorsitzenden. Wieso er dann überhaupt der Polizei geschrieben habe, fragte die Verteidigung. Er sei am Rande einer Legida-Demonstration selbst einmal „von der Antifa überfallen“ worden, daher interessiere ihn das. Daraufhin habe er im Internet recherchiert, dass sich die Antifa in Züge setze und schaue, wie viele Leute, wo aussteigen. Aufgrund seiner Erfahrung sei er daher besonders vorsichtig und aufmerksam, habe an diesem Tag jedoch nichts im Zug und am Bahnhof beobachten können. 

Zweite Zeug:innenvernehmung

Als zweiter Zeuge war der 33-jährige Eric Schweigler, Polizeimeister bei der Polizeidirektion Leipzig, geladen. Er wurde am 8. Juni 2020 bei einem Einsatz der Mobilen Einsatz- und Fahndungsgruppe (MEFG) im Rahmen der Gefahrenabwehr in Bezug auf den Leipziger Jura-Studenten und Faschisten Brian Engelmann eingesetzt. Gleich zu Beginn merkte Schweigler an, dass er nur noch schwache Erinnerungen an den Tag habe. Er sei damals erst sehr kurzfristig, ein bis eineinhalb Stunden davor, über den Einsatz informiert worden und habe kaum weitere Informationen zum Hintergrund erhalten. Sein Kollege Stade und er sollten Brian Engelmann nach dessen Prüfungstermin abholen und zur Wohnung fahren. Als Engelmann das Gebäude verließ, habe er ihn angesprochen und ihm seinen Dienstausweis gezeigt. Engelmann habe darauf entgegnet, dass er sich schon selbst gekümmert habe und von vier Freunden nach Hause gefahren werde. In zivil seien sie dann dem Auto von Engelmann und dessen Begleitern hinterher gefahren. Schweigler habe Engelmann dann an der Wohnadresse noch bis in den Hausflur begleitet. 

Oberstaatsanwältin Geilhorn sprach ihn auf eine Notiz im Einsatzbericht an. Demnach habe jemand zwei schwarz gekleidete Personen am Eingang des Prüfungsgebäudes beobachtet und dies gemeldet. Die Meldung komme nicht von ihm, so Schweigler. Er habe so etwas auch nicht beobachtet, wahrscheinlich seien damit er und sein Kollege gemeint, zumindest er sei an diesem Tag komplett schwarz gekleidet gewesen.

Sowohl am Prüfungsort als auch an Engelmanns Wohnort sei ihm nichts Relevantes aufgefallen. Vor Ort habe keine akute Bedrohungslage bestanden. Er habe auch nicht das Gefühl gehabt, dass sich Personen konspirativ verhielten, beispielsweise den Ort ausgespäht hätten, berichtet Schweigler auf Nachfrage Schlüter-Staats. Am Prüfungsort sei noch zusätzlich ein Streifenwagen platziert gewesen, über dessen Einsatz sie zuvor jedoch nicht informiert worden seien. Ansonsten seien ihm keine Kollegen aufgefallen, die zeitgleich im Einsatz gewesen seien. 

Er sei auch über keine anderen polizeilichen Maßnahmen informiert gewesen, die parallel liefen, wie beispielsweise die Sicherung Engelmanns Wohnadresse, erklärt Schweigler auf Nachfrage. Ob er an dem Tag während des Einsatzes Meldungen abgesetzt habe und ob er das Kennzeichen des Fahrzeugs, mit dem Enegelmann nach Hause gefahren worden sei, notiert habe – an all das will er sich nicht mehr erinnern können. Wohl auch, weil er keinen Zugang zum Einsatzbericht habe, sodass er sich diesen in Vorbereitung auf die Verhandlung nicht habe ansehen können, so Schweigler. 

Nachdem der Beamte aus dem Zeugenstand entlassen wurde, erklärte Schlüter-Staats vor der Mittagspause, welche Urkunden aus dem Selbstleseverfahren zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht würden. Die Verteidigung legte einen Verwertungswiderspruch dagegen ein. Bei den Urkunden handelt es sich um Erkenntnisse aus Observationsmaßnahmen zu mehreren der Beschuldigten im Zeitraum von Mai bis Juni 2020. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine Verlängerung der Observationsaßnahmen um weitere drei Monate beantragt, das Amtsgericht hatte ohne Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Verlängerung stattgegeben. Es handelte sich um tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Maßnahmen, deren Einsatz zu begründen ist. Sowohl die Observationsmaßnahmen an sich, als auch die Verwendung dieser als Beweismittel sind somit rechtswidrig. Die gesamte Verteidigung schloss sich dem Antrag an.

Rache an „Anna und Arthur“

Nach Ende der Mittagspause waren erst wenige Zuschauer:innen wieder im Saal eingetroffen. Die Verteidigung wies darauf hin, dass somit die Öffentlichkeit im Saal noch nicht wiederhergestellt und dies aktiv durch die Justizbeamt:innen am Einlass verursacht wurde. Seit der Aktion in Solidarität mit einer als Zeugin geladenen Genossin am 44. Prozesstag im April, bei der Zuschauer:innen Shirts mit der Aufschrift „Anna“ oder „Arthur“ trugen, wurden die Einlasskontrollen massiv verschärft, was zu erheblichen Verzögerungen beim  Einlass führte. Das betraf alle Zuschauer:innen in den letzten wie auch am heutigen Verhandlungstag, sowohl am Morgen als auch nun nach der Mittagspause. So wurde nur noch eine statt zwei Einlassschleusen geöffnet und es durfte sich immer nur eine Person im gesamten Einlassbereich befinden, bis die nächste das Gebäude betreten. Alle Besucher:innen mussten sich bis auf ihr T-Shirt ausziehen und durften teils nur noch zwei Blatt Papier mit in den Saal nehmen. Auch die Protokollant:innen der Verteidigung waren von diesen verstärkten Kontrollen und gezielten Verzögerungen betroffen. Die Verteidigung kritisierte diesen Sachverhalt im Saal und forderte den vorsitzenden Richter auf, diesen Missstand zu beheben. Eine Vorzensur, die er so bundesweit noch nicht erlebt hat, kommentierte ein Verteidiger das Vorgehen des Gerichts. 

Die sitzungspolizeiliche Anordnung sei eben so und bleibe auch so, entgegnete der Vorsitzende trotzig. Dann müssten die Leute eben morgens früher kommen. Die Verteidigung wies darauf hin, dass die Zuschauer:innen am Morgen bereits ab acht Uhr morgens vor Verhandlungsbeginn vor dem Gerichtsgebäude warteten, der Einlass jedoch viel später startete. Auch wurde der Einlass am Mittag erst kurz vor Beginn der Weiterführung der Verhandlung wieder aufgenommen.

Der Vorsitzende unterbrach daraufhin die Verhandlung bis 13:30 Uhr, damit die noch aufgehaltenen Besucher:innen nachkommen konnten. Schlüter-Staats teilte mit, dass er sich über die Lage informiert habe und laut den Justizbeamt:innen der Fehler ausschließlich in der Unpünktlichkeit des Publikums läge. Auch sei die Schleuse am Mittag gar nicht geschlossen, sondern ein Einlass wäre durch die gesamte Mittagspause hinweg gewährleistet. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit.

Dritte Zeug:innenvernehmung (Tatkomplex Eisenach II)

Nach der verlängerten Pause erschien der dritte Zeuge an diesem Tag, Klaus Fritzlar. Der 31-jährige Streifenpolizist aus Eisenach wurde von Rechtsanwalt Hirschmann als Zeugenbeistand begleitet. Am Abend des mutmaßlichen Angriffs auf Leon Ringl vernahm Fritzlar diesen am Tatort. Am Abend des 14.12.2019 seien er und ein damaliger Praktikant, Herr Büchner, zum Einsatzort in Eisenach gerufen worden und hätten Ringl vor Ort angetroffen, an der Ecke Herrenmühlen- / Oppenheimstraße. Dieser habe eine Augenreizung gehabt und gehustet. Er habe berichtet, dass seine Freunde ebenfalls angegriffen worden, aber diese mit dem Auto von Robert Schwaab schon vom Tatort weg- und auf den örtlichen Rewe-Parkplatz gefahren seien.

Fritzlar und sein Kollege seien dann in Richtung Rewe gefahren und hätten dort Ringls Freunde angetroffen, Robert Schwaab, Nils Ackermann und Maximilian Andreas. Zwei der drei Personen hätten blutige Verletzungen gehabt. Schwaab habe während der Befragung eine Personenzahl der mutmaßlichen Angreifenden genannt, und sich an ein Auto erinnert. Die anderen beiden seien sehr wortkarg gewesen. Schwaabs Auto sei dann wegen etwaiger Beweismittel sichergestellt worden und Fritzlar habe an den Kriminaldauerdienst übergeben. 

Schlüter-Staats befragte Fritzlar anschließend genauer zur Vernehmung Ringls: Es habe sich bei den Angreifenden um mehrere Personen gehandelt, diese hätten Schlagstöcke und Reizgas dabei gehabt und das Auto von Schwaab entglast. Dabei hätten sich Ringls Angaben zur Personanzahl unterschieden: Zu Beginn habe er gegenüber Fritzlar noch zehn Personen erwähnt, im Verlauf der Vernehmung nannte er geringere Zahlen. Ringls Vernehmung habe erst später in der Nacht stattgefunden. Erst dann habe er erzählt, wohl eine Person mit einer weiblichen Stimme erkannt zu haben. Beim Erstkontakt mit Fritzlar habe er dies nicht erwähnt. Ebenso wie die Info, dass er schon einmal angegriffen worden sei. Dies habe er auch erst in der förmlichen Vernehmung angemerkt. Von einem Hammer habe er nichts erwähnt. In der Vernehmung habe Ringl sehr souverän gewirkt. Am Anfang habe er gewirkt, als habe er das Ganze etwas aufbauschen, eine große Geschichte erzählen wollen.

Nach Details zu seinem Vernehmungsprotokoll gefragt und wieso dort keine einzige Frage niedergeschrieben sei, erklärte Fritzlar er habe es in der Ich-Form gefertigt und seine Fragen in Ringls Aussagen verpackt. Es überrasche ihn, dass das gesamte Protokoll nur eine Seite umfasst, so Schlüter-Staats. Was Fritzlar denn die ganze Zeit gemacht habe? Er habe das Protokoll nach der Vernehmung selbst anfertigen müssen, da er ja nur einen Praktikanten dabei gehabt habe, antwortete dieser. Wie Ringl die weibliche Stimme habe identifizieren wollen, fragte der Vorsitzende anschließend. Er sei sich sicher gewesen, dass es dieselbe Stimme sei, wie die, die er beim Angriff aufs Bull’s Eye wahrgenommen habe. Sie sei die gesprächsführende Stimme gewesen. Er habe sie anhand ihrer Gestik, Mimik und Stimme erkennen wollen. Hierzu sagte der Zeuge noch, dass er Mimik so definiere, dass er glaubt, Ringl habe etwas zum Gesichtsausdruck und Lippenbewegungen gesagt.

Ein beisitzender Richter befragte Fritzlar dann zu seinem persönlichen Kennverhältnis mit Ringl. Er habe Ringl dienstlich gekannt, aus einigen Sachverhalten. Nach dem Angriff auf das Bull’s Eye sei der Zeuge in die Fahndungsmaßnahmen miteinbezogen worden. Bei einer Tat, die noch weiter zurückgelegen habe, habe Ringl zu den Tatverdächtigen gezählt. Da habe Fritzlar ebenfalls persönlich mit ihm zu tun gehabt. Robert Schwaab habe er zuvor nicht gekannt. Die Personen, die er am Rewe-Parkplatz vorgefunden habe, kenne er vom sehen – Schwaab, Ackermann und Andreas. Das sei ein zusammengehöriger Personenkreis, sie seien oft miteinander unterwegs. Alle vier – Ringl, Schwaab, Ackermann und Andreas – seien wohl Tatverdächtige in einem Körperverletzungsdelikt vor dem Bull’s Eye gewesen, mit dem Fritzlar auch zu tun gehabt habe. Er wisse aber nicht, was aus diesem Fall geworden sei. Ob Fritzlar sehr überrascht sei, dass Ringl aktuell inhaftiert sei, fragte Schlüter-Staats. Ihm sei bekannt gewesen, dass Ringl aus der rechten Szene stamme und mehrmals tatverdächtig war. Nach dem Schlagwort Nazikiez in Eisenach und den zuletzt stattgefundenen bundesweiten Razzien gegen Ringl und andere Nazis gefragt und ob das zu dem passe, was Fritzlar so über Ringl mitbekommen habe, antwortete dieser, es habe ihn schon überrascht, dass da so etwas Großes passiert sei, auch wenn er Ringl aufgrund mehrerer Taten kenne. 

Nach einer kurzen Unterbrechung wurde die Befragung des Zeugen Fritzlar fortgeführt. Schlüter-Staats unterbrach die Befragung kurz darauf sehr gereizt und drohte, gegen die nächste Person im Publikum, die lacht, würde er ein Ordnungsgeld von 50 Euro verhängen ( – eine Androhung, die das Ernstbleiben nicht unbedingt erleichterte.)

Rechtsanwältin Belter führte im Anschluss an, im Bericht stehe, dass sich ein Augenzeuge des Geschehens gemeldet habe. Fritzlar konnte sich auf Nachfrage weder daran erinnern, wie sich dieser bei der Polizei gemeldet oder ob er diesen Zeugen befragt habe. Auch eine Antwort auf die Frage, ob er einen Krankenwagen für Ringl gerufen habe, fiel ihm schwer. Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass Ringls Verletzungen wohl nicht schwer genug waren, als dass Fritzlar einen Krankenwagen gerufen hätte. Bis auf die Augenreizung sei er unverletzt gewesen. Belter hielt weiter aus dem Bericht vor, Ringl habe geäußert, dass er „Werkzeuge“ dabei gehabt habe. Dabei habe es sich um Pfefferspray und ein Cuttermesser gehandelt, erinnerte sich Fritzlar. Ob dies dokumentiert wurde, daran könne er sich nicht mehr erinnern. 

Die Verteidiger:innen stellten darüber hinaus noch weitere Fragen zu einzelnen Aussagen Ringls und wie Fritzlar diese verstanden habe. An vielen Stellen verwies er auf seinen äußerst kurzen Einsatzbericht, darüber hinaus konnte er sich nicht mehr erinnern oder gab an, die angesprochenen Situationen nicht mitbekommen zu haben. 

Ehemalige Chefin als Zeugin

Hiernach wurde die nächste Zeugin in den Saal gebeten, wobei es sich um die ehemalige Chefin eines Angeklagten handelte, welche Auskunft zu Dienstplänen und einem Dienstwagen geben sollte, zu dessen Nutzung das BKA Kenntnis hatte und eine Innenraum- und Standortüberwachung durchgeführt hat.

Sie beschrieb den Angeklagten als zuverlässigen Mitarbeiter und schilderte die Arbeitsbedingungen, welche der Vorsitzende arbeitsrechtlich für fragwürdig hielt, da es sich um 12-Stunden Schichten gehandelt habe. Sie habe ihn nach einer längeren Krankheit ohne Rückmeldung abgemeldet.

Sie habe keine Dokumente, die belegen würden, ab wann der Angeklagte Zugriff auf das Dienstfahrzeug gehabt habe.

Die Zeugin wurde nach einer guten halben Stunde entlassen.

Anträge der Verteidigung [und die platzende Hutschnur des Schlüter-Staats]

Zum Ende des Verhandlungstages stellten die Verteidiger:innen noch mehrere Beweisanträge.

Rechtsanwältin Weyers beantragte als Erweiterung eines bereits gestellten Antrags, die Begehung des Bull’s Eye und der Umgebung mit dem Platzieren des Taxis aus der Tatnacht am selben Ort zu erweitern, wodurch die Aussage eines Zeugen Seipelt zur Nacht des Angriffs auf das Bull’s Eye im Oktober 2019 als nur bedingt aussagekräftig eingeordnet wird. Der Taxifahrer kann belegen, dass das Taxi an einem anderen Ort gestanden hat, als vom Zeugen angegeben. Unter dieser Bedingung hätte der Zeuge den Innenraum des Bull’s Eye gar nicht sehen können.

Zudem sollen die Fenster vermessen werden, um zu zeigen, dass Menschen einer bestimmten Größe keinen Einblick in die Kneipe haben können.

Weiterhin betraf der Antrag die Aussagen der Zeugen Leon Ringl, Maximilian Andreas und Kevin Seipelt. Eine Sachverständige soll ein aussagepsychologisches Gutachten erstellen, welches belegen werde, dass die Aussagen der drei in Bezug auf die vermeintliche Anwesenheit einer Frau am Abend des Angriffs auf das Bull’s Eye nicht glaubwürdig sind. So sind die Aussagen selbst jeweils inkonstant und widersprechen einander. So sind beispielsweise die Beschreibung der als weiblich wahrgenommenen Person von Ringl und Andreas sehr unterschiedlich, genau wie die Aussagen in Bezug zur Handlung, die die beiden dieser Person zuschreiben. Weyers legte in ihrem fast einstündigen Vortrag des Antrags zahlreiche Beispiele für die Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit der Aussagen vor. Das Gericht besitzt nicht die Sachkunde, um die Glaubwürdigkeit der Aussagen unter den gegebenen besonderen Umständen beurteilen zu können. Die besonderen Umstände ergeben sich daraus, dass mindestens die Zeugen Ringl und Andreas einem politisch rechten Lager entstammen. Zudem sagten die Zeugen aus, sie hätten nach dem Angriff lediglich über das Befinden der anderen gesprochen, dann sei direkt die Polizei gekommen. Die vor Ort eingesetzten Polizeikräfte hatten vor Gericht wiederum ausgesagt, dass bei ihrem Eintreffen am Bull’s Eye alle anwesenden Personen rege unterhielten und chaotisch durcheinander gesprochen hätten. Dass durch diesen Austausch unter den Anwesenden eine Vermischung der Erinnerungen, eine sogenannte „falsche Gruppenerinnerung“ entstanden ist, ist also sehr naheliegend. s

Darüber hinaus wurde von der Verteidigung beantragt, einen weiteren Zeugen zu laden. Der Zeuge bewohnt eine Dachgeschosswohnung gegenüber des Bull’s Eye. Er wird bezeugen können, dass in der Nacht ausschließlich Männer beteiligt waren, erklärte Rechtsanwältin Weyers. Von seinem Fenster aus konnte er beobachten, wie mehrere Personen aus der Kneipe stürmten. Aufgrund deren Haltung und Bewegungen muss es sich nach Beobachtung des Zeugen um Männer gehandelt haben. Zusätzlich soll ein anthropologisch-morphologisches Gutachten einer Überwachungskamera in der Nähe beweisen, dass es sich aufgrund der Gangart der abgebildeten Personen ausschließlich um Männer handelte.

In Mitten von Rechtsanwältin Weyers Vortrag grätschte der vorsitzende Richter Schlüter-Staats rein, da er sich offensichtlich von der Sitzhaltung eines Angeklagten provoziert fühlte – so sehr, dass er, nachdem der Angeklagte seine Sitzhaltung nicht wunschgemäß veränderte, prompt ein Ordnungsgeld über 100 Euro gegen den Angeklagten verhängte, was zu Wut und lautem Unverständnis auf Seiten der Verteidigung und der Zuschauer:innen führte. „Wie muss ich auf meinem Stuhl sitzen, dass es in Ordnung ist?“ fragte Rechtsanwalt Nießing. Rechtsanwalt Werner merkte an, dass die Richter:innen eine ähnliche Sitzhaltung wie der Angeklagte eingenommen hatten, was nach rund acht Stunden Verhandlung auch nicht ungewöhnlich sei. 

Antrag auf Sachverständigengutachten zu Stimmerkennung

Die Verteidigung stellte anschließend einen Beweisantrag bezüglich der Stimmenidentifizierungsleistungen aus der PKW-Innenraumüberwachung zur Identifizierung der Stimme eines Beschuldigten. Eine Professorin der Phonetik, soll dazu aussagen und mit einem Sachverständigengutachten zu Stimmerkennung belegen, dass die Identifizierungsleistungen der JVA-Beamt:innen Hackbarth, Rüping und Rupert keinen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen und keinen Beweiswert haben. Einerseits war deren Fähigkeit als Lai:innen zur Spracherkennung begrenzt, darüber hinaus hatten sie die zu identifizierende Stimme jeweils sehr unterschiedlich und teils widersprüchlich beschrieben. Die zum Vergleich vorgelegten Tonaufzeichnungen taugten unter anderem durch unterschiedliche Qualität, Lautstärke, Länge und Sprechanteile nicht für eine belastbare Identifikation. Zudem war den Zeug:innen bereits im Voraus der Vernehmungen durch den Polizeibeamten Junghanß (Soko LinX) eröffnet worden, dass es dabei um die Identifizierung des Beschuldigten ging. Durch dieses suggestive Vorgehen wurde bei den Zeug:innen eine bestimmte Erwartungshaltung provoziert, die die Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Zuordnung der Stimme deutlich erhöhte.

Noch immer standen zwei Anträge der Verteidigung aus, deren Vortragen der Vorsitzende den Verteidiger:innen noch für den heutigen Tag zugesichert hatte. Gegen 18:15 Uhr bemängelte Oberstaatsanwältin Geilhorn die späte Stunde.

Antrag auf Zeug:innenvernehmung

Verteidiger Werner beantragte, die Polizeibeamt:innen zu hören, die bei den Durchsuchungen von Wohnungen zweier Angeklagter und eines Fahrzeugs beteiligt waren. Bei keiner dieser Durchsuchungen wurden Hämmer oder Schlagstöcke, die laut Nazi-Zeugen beim Angriff in Eisenach am 14.12.2019 vermeintlich eingesetzten worden sein sollen, gefunden.

Ein weiterer Antrag der Verteidigung wurde schließlich auf die kommende Woche vertagt. Der Vorsitzende bemerkte noch einmal, dass ihm kürzere Beweisanträge lieber wären. Auf Nachfrage der Verteidigung erwähnte er kurz vor Schluss noch, dass nächste Woche ja womöglich auch noch die Zeugenvernehmung eines Freundes von Brian Engelmann ausstünde, der diesen im Juni 2020 an einem Tag von dessen Prüfungsort abgeholt habe. Der Name des Zeugen sei Alexander Kleine.(Anmerkung: Alexander „Malenki“ Kleine ist als Kader der Identitären Bewegung Leipzig bekannt.)

Um 18:30 Uhr endete der bisher längste Verhandlungstag in diesem Prozess. 

Der nächste Prozesstag findet am 04. Mai 2022 um 9:30 Uhr am OLG Dresden statt.