Bericht vom 55. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 22.06.22.
An diesem Tag waren zwei geladene Zeugen da: der Ladendetektiv, welcher Angaben zum versuchten Diebstahl von Werkzeug machen sollte, und ein Polizeibeamter, welcher Informationen zu Leon Ringl und dessen Erstbefragung im Dezember 2019 machte. Daneben war der Tag von Absprachen zu bereits erfolgten Anträgen geprägt und endete mit zahlreichen Kamerasequenzen aus dem Regionalexpress von Dresden nach Wurzen im Februar 2020.
Zeuge I: G. Leopold, Ladendetektiv
Grund der Zeugenvernehmung war die Anzeige des Ladendetektivs, gegen die im hiesigen Verfahren Angeklagte, wegen versuchten Diebstahls. Der Ladendetektiv will beobachtet haben, wie die angeklagte Person am 13.12.2019 im OBI-Baumarkt in Leipzig zwei Hämmer eingepackte. Er schilderte, dass es im OBI zwar keine Video-Überwachung gäbe, aber in der Werkzeug-Abteilung besonders aufmerksam beobachtet werde, da es dort häufig zu Diebstählen kommen würde. Nach dem die verdächtigte Person den Kassenbereich ohne zu zahlen passiert habe, stellte er sich im Ein-/Ausgangsbereich auf, wies sich als Ladendetektiv aus und verlangte eine Taschenkontrolle. Die angeklagte Person entgegnete daraufhin, dass sie die Hämmer zurückgelegt habe und versuchte zu flüchten. Der Vorsitzende wollte in gewohnt suggestiver Manier darauf genauer eingehen und befragte den Zeugen, inwiefern er dabei Schmerzen hatte oder zu Boden ging. Der Zeuge erwiderte nur, dass sie sich entreißen konnte und er dabei weg gestoßen worden wäre. Offenbar handelte es sich also nur um eine selbstschützende Abwehrreaktion der Verdächtigten. Nachvollziehbar wurde dies auch durch seine nachfolgende Schilderung: nach geschätzten 30-40 Metern habe er sie eingeholt, an der Kapuze festgehalten und sich unter ihren Taschengurt eingehakt. Nachdem er sie so auf dem Parkplatz stellen konnte, stellte er ihre Personalien fest und erteilte Hausverbot für den OBI-Markt. Er erinnerte sich noch genau an den Vor- und Zunamen, aber nicht mehr an die Wohnanschrift. Der Vorsitzende meinte, dass das verständlich sei, da es sich ja nicht um eine Prominente handele. Der Ladendetektiv antwortete mit „naja“ und zog die Augenbrauen hoch. Nach einem Vorhalt konnte er sich erinnern, dass die Meldeanschrift in „irgendeiner westdeutschen Stadt“ gewesen sei.
Oberstaatsanwältin Geilhorn wollte noch Verständnis-Nachfragen klären: Ob er sie in der Situation auf dem Parkplatz irgendwann mal aus den Augen verloren habe und ob sie durch Hilferufe auf sich aufmerksam gemacht habe. Ersteres verneinte der Zeuge, bei der zweiten Frage antworte er, dass dies durchaus so gewesen sein könne, sie aber auf dem Rückweg in den OBI einfach mitgekommen sei.
Dem Vorsitzenden fiel noch die Frage ein, welche Hämmer geklaut werden sollten. Der Zeuge gab an, dass sie von der Marke LUX gewesen seien und er tendiere deshalb dazu, dass sie aus Metall gewesen seien. Von der Verteidigung kam dazu die Frage, ob die Marke LUX auch Gummihämmer anbietet. Konkretes Wissen hatte er nicht dazu, nur dass die Hämmer robust gewesen seien. Seine Kolleg:innen oder die Radfahrer:innen, welche die Situation auf dem Parkplatz zeitweilig begleiteten, eigneten sich dem Senat nach nicht als Zeug:innen.
Als nächstes erließ der Vorsitzende eine Verfügung für die Inaugenscheinnahme von Fotos am Bahnhof Wurzen sowie von Videos aus dem Regionalexpress von Dresden nach Wurzen und bezog sich damit auf einen Antrag der Verteidigung. Die Fotos zeigten die Unterführung und das Gleis 1 am Bahnhof Wurzen. Die Videos sollten später am Verhandlungstag gezeigt werden.
Es folgte eine erste Pause und die Verkündung, dass der morgige Prozesstag aufgehoben wird. Der Vorsitzende begründete dies damit, dass er die Aussagen von Johannes Domhöver noch nicht vollständig gelesen habe und dies noch tun wolle. Die Absprachen mit dessen neuen Rechtsanwalt Dr. Michael Stephan laufen noch und die Vorladungstermine würden in der nächsten Woche festgeklopft werden.
Zeuge II: Daniel Büchner, Polizeibeamter
Der Polizeibeamte wurde als Zeuge zum Tatkomplex Eisenach II geladen. Damals war er noch Polizeianwärter in Thüringen und zum Zeitpunkt der Tat in Eisenach tätig, heute ist er in Erfurt eingesetzt. Seine Schilderungen bezogen sich vorwiegend auf den Bericht von KHK Fritzlar, welcher durch den Zeugen nach dem Angriff auf Leon Ringl begleitet wurde. Der Vorsitzende gab an, dass das Interesse des Gerichts darauf liege, was der Zeuge durch Ringl für Aussagen und Informationen bekam. Der Polizist antwortete, dass er die sogenannte Erstbefragung noch erinnere, weil er sie zeitweilig mitanhörte. Ringl gab im Laufe der Nacht erst zwölf, dann zehn und schließlich acht Personen an, die ihn und seine Begleiter angriffen. Auch eine Frau sei dabei gewesen, das habe er an der Stimme erkannt. Er erinnerte sich auch noch, dass eine Befragung in einem Streifenwagen stattfand, aber er wusste nicht mehr, ob er Teile der Befragung durch geöffnete Fenster oder Türen mitbekommen konnte. Zudem sei er zusätzlich mit der Tatortabsicherung betraut gewesen. Auf Nachfragen des Senats zu näheren Zuschreibungen oder Bewegungsabläufen der Angreifenden, über die Ringl berichtete, konnte er nichts Genaues erinnern. Während des Angriffs auf das Bulls Eye (Tatkomplex Eisenach I) war er noch im Praktikum und nicht im Polizeidienst. Deshalb konnte er keine Angaben zu diesem Ereignis geben. Er kommt nicht aus Eisenach und sei weder Ortskundig noch im Bilde zu lokalen Straftaten.
Frau Geilhorn hatte wieder Verständnisfragen. Laut Angabe des Zeugen, war sein Anleiter mit der Befragung im Streifenwagen beschäftigt, sie wollte nochmal genauer wissen, ob die Tür vom Fahrzeug auf und ob er zwischen dem Fahrzeug und anderen Aufgaben hin- und her lief. Er bejahte zumindest letzteres, sodass er nicht stringent der Befragung zuhören konnte.
Der Erinnerung nach habe der Kriminaldauerdienst Lichtbilder gemacht, wer sie verständigte, wusste er nicht mehr. Erhellendes oder Neues konnte Zeuge Nummer zwei an diesem Verhandlungstag nicht liefern.
Danach verlief sich der Verhandlungstag im Klein-Klein.
Zunächst gab der Senat bekannt, dass RA Hohnstätder der Nebenklage, die Aussagen des Kronzeugen Domhöver bekommen will. Damit würde auch sein Mandant, der Eisenacher Neonazi Maximilian Andreas, Zugang zu dem neuen Aktenmaterial erhalten. Die Verteidigung widersprach dem Antrag der Nebenklage und erhielt vom Vorsitzenden eine Anhörungsfrist bis nächste Woche. Oberstaatsanwältin Geilhorn schlug vor, innerhalb der Dokumente zu differenzieren und ggf. eine Schwärzung von Aktenteilen vorzunehmen. Der Vorsitzende kündigte an, dies nicht machen zu wollen. Er habe die Aussage noch nicht in Gänze gelesen und würde nicht Satz für Satz durchgehen, um zu differenzieren, was gestrichen werden sollte. Die Verteidigung regte daraufhin an, dass er nach der Lektüre hoffentlich verstehe, dass es sich um brisante Angaben handele und eine Differenzierung sinnvoll wäre.
Im Anschluss wollte der Vorsitzende wissen, ob der Antrag zur Aktenbeiziehung von Nazis aus Eisenach noch aufrechterhalten werde. Die Verteidigung gab an, diesen nicht zurückzuziehen, worauf der Vorsitzende andeutete, dass eine Nachlieferung vorbereitet werden könne. Schlüter-Staats hatte dann Nachfragen zu einem Antrag, in dem es um technische Daten zu ausgelesenen Handys ging. Er verstand nicht, dass es der Verteidigung nicht um den Extraktionsbericht mit den Vermerken ging, sondern um die ursprüngliche Datensicherung. Er verwies die Verteidigung darauf, direkt beim LKA nachzufragen und stellte seine Voreingenommenheit mal wieder zur Schau, weil er auf hinzugekommene Beschuldigte und deren Datenschutz, welchen die Verteidigung nicht ernst nehme, hindeutete.
Es folgte ein Hin-und Her die Beiziehung bzw. Nachforderung von Akten neuer Beschuldigter betreffend. Während sich der Senat darauf bezog, dass ihm die Antragsbegründungen nicht ausreichten, machte die Verteidigung deutlich, dass sämtliche aktenkundigen Sachverhalte von Bedeutung sind und sie sich nicht auf die Häppchen, welche die Bundesanwaltschaft heraus gab, verlassen können. Oberstaatsanwältin Geilhorn brachte an, dass die Verteidigung zunächst die heute ausgeteilten Nachlieferungen zur Kenntnis nehmen solle. Schließlich fiel noch die Information, dass zu einem gesondert Verfolgten der Generalbundesanwalt keinen Ermittlungsauftrag des Gerichts benötige, es sich nur um eine gezielte Nachlieferung handele, die der Verteidigung zur Verfügung gestellt werde.
Es folgte eine längere Mittagspause.
Inaugenscheinnahme und Beweisantrag
Danach wurden die angekündigten Videoaufnahmen aus dem Regionalexpress von Dresden nach Wurzen am 15.02.2020 gezeigt. Im Anschluss wurden, wie beantragt, ausgewählte Kamerasequenzen vorgespielt. Nach dieser ermüdenden Inaugenscheinnahme kündigte die Verteidigung einen Beweisantrag an. Bezugnehmend auf die Videoaufnahmen wurde angegeben, dass die mangelhafte Qualität der Aufnahmen nur unzureichend die Gesichtsmerkmale auswertbar machen und eine wissenschaftlich tragfähige Identifikation der hiesig Angeklagten nicht möglich ist. Deshalb beantragte die Verteidigung ein humanbiologisches, morphologisches und biometrisches Gutachten. Des Weiteren sollen die Filmaufnahmen und die Vergleichsbilder aus den Akten der Sachverständigen ausgehändigt werden, um personentypische Merkmalskomplexe zu analysieren. Der Vorsitzende erklärte süffisant, dass die Verteidigung sich entscheiden müsse, ob die Videoaufnahmen nun gut oder schlecht seien, und bezog dies auf einen Antrag zum iPod. Oberstaatsanwältin Geilhorn erklärte kurz, dass das Gericht ausreichendes Sachverständnis habe sowie die richterliche Überzeugung von Relevanz sei und nicht hundertprozentige Wissenschaftlichkeit.
Der Verhandlungstag endete damit gegen 17 Uhr.
Für die kommende Woche ist nur ein Verhandlungstag, der 30.06. 2022 um 09:30 am OLG Dresden, angesetzt. Die Verteidigung wird einen Sachverständigen zur Kommunikationsanalyse der Innenraumüberwachung befragen. Zudem ist PKZ 18 geladen.