Bericht vom 8. Prozesstag – 30.09.2021

Du betrachtest gerade Bericht vom 8. Prozesstag – 30.09.2021
  • Lesedauer:12 min Lesezeit

8. Prozesstag im §129 – Antifa-Ost-Verfahren am OLG Dresden 30.09.21

Am 8. Prozesstag wurden 3 Polizeibeamt:innen, alle Zeug:innen im Tatkomplex Enrico Böhm gehört. Frau Seemann ist Nachbarin von Böhm, Polizeibeamtin und war zur Tatzeit vor Ort. Herr Heidler ist Mitglied der Soko LinX und ermittelnder Beamter. Polizeihauptmeister Szimeiszter ist Kriminalbeamter und war für die Spurensicherung am Tatort zuständig, wobei er auch eine Plastiktüte mit unterschiedlichen DNA-Spuren fand.

Besonders interessant ist hierbei der Zeuge Patrick Heidler, Ermittler der Soko LinX, der mit Zeugenbeistand im Gericht erschien. Die Befragung endete, als er sich auf seine Zeugnisverweigerungsrecht gem. §55 StPO berief, da gegen ihn und weitere Beamte der Soko LinX ein Verfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses läuft.

Als Nebenklagevertretung sind Manuel Tripp und Carsten Collini anwesend. Im Laufe der Verhandlung kommt Martin Kohlmann und verlässt nach kurzer Zeit wieder den Saal.

Zu Beginn der Verhandlung gibt RA Klinggräff eine Erklärung zu einer möglichen Denunziation von Zuschauer:innen durch Cedric Scholz am Vortag ab. Der Nebenkläger hatte sich während einer Verhandlungspause am 29.09. mit seinem Anwalt Frank Hannig die Zuschauer:innen sehr genau angeschaut, dabei auf einige gezeigt, bei einigen genickt oder den Kopf geschüttelt. Es sollen außerdem Skizzen gezeichnet worden sein. Im Anschluss gab es ein Gespräch zwischen Hannig und der Bundesanwaltschaft, bei der auch das Wort ‚Identifizierung‘ gefallen sein soll.

Die Verteidigung bittet die Bundesanwaltschaft um Aufklärung darüber, was besprochen wurde und führt aus, dass hierbei der Öffentlichkeitsgrundsatz berührt wird. In der Vergangenheit hatte der Nazi Enrico Böhm bereits Besucher:innen einer Verhandlung identifiziert, welche daraufhin als Beschuldigte in die Ermittlungen aufgenommen wurden. Eine solches Risiko schaffe große Unsicherheit für die Zuschauer:innen.

Der vorsitzende Richter sieht sich allerdings nicht in der Verantwortung dafür, ob Menschen im Gericht andere denunzieren. Für die Aufklärung des Gesprächsinhalts müsse die Bundesanwaltschaft befragt werden.

RA Mucha beanstandet, dass der Zeuge Brian Engelmann, der Nebenklage erheben will, in der Begründung aus nicht-öffentlichen Akten zitiert hat. Es wurden also Informationen an ihn weitergegeben.

Danach kritisiert RA Nießing, dass er den Vorsitzenden um bestimmte Akten gebeten hatte, welche er vor der Befragung Cedric Scholz‘ benötigt hätte. Da der Vorsitzende nicht reagiert hatte, konnte Nießing diese nicht beantragen und noch dazu wurde die Befragung von Scholz auf genau die zwei Termine gelegt bei denen Nießing nicht anwesend sein konnte.

Zeugenbefragung Frau Lydia Seemann, Polizistin und Nachbarin von Enrico Böhm

Seemann schildert, sie sei morgens von den Hilfeschreien aufgewacht, hätte die Schlägerei aus dem Fenster gesehen, ist runter gerannt und hätte die Täter:innen mit Fahrrädern wegfahren sehen. Sie konnte keine Gesichter erkennen oder Rückschlüsse auf die Geschlechter ziehen. Sie hat dann die Personalien von einigen potentiellen Zeug:innen aufgenommen und ihre Kolleg:innen bei der Polizei angerufen. Dann habe sie den Geschädigten in seinem Hauseingang gefunden. Ihrer Nachbarin, Frau D., habe sie geraten, ein Gedächtnisprotokoll zu schreiben und die Aussagen von Frau D., welche diese ihr schriftlich übergab, per E-Mail an einen Polizeikollegen geschickt. Letzteres ergab sich allerdings nur durch anderweitige Aussagen. Die Zeugin Seemann kann sich nicht mehr an eine entsprechende E-Mail erinnern.

Die Verteidigung fragt sie, ob sie sich erinnere, wie der Geschädigte das Geschlecht der Angreifer beschrieb. Daran könne sie sich ebenfalls nicht erinnern, im Gegensatz zu ihrer ersten Vernehmung. Damals hatte sie angegeben, dass er sie als ‚4 Männer‘ beschrieben hatte.

Die Zeugin wird gefragt, ob es noch andere Situationen in der Nachbarschaft gab, in denen sie sich in den Dienst versetzt hat. Seemann antwortet, dass dies noch zwei weitere Male der Fall war, wobei Böhm nicht involviert war.

Nach dieser Befragung gibt es eine Pause, die Verhandlung wird um 11:10 fortgesetzt.

Die Zeugenvernehmung des LKA-Beamten und Mitglied der Soko LinX Patrick Heidler zum Tatkomplex Böhm soll beginnen.

Heidler bringt einen Zeugenbeistand mit – RA Hirschmann – was für Beamte sehr ungewöhnlich ist, wie die Verteidigung feststellt und zu Verwunderung führt. Der Zeuge wird kurz aus dem Saal gebeten und es kommt zu einer Diskussion über Gründe und Legitimität des Zeugenbeistands.

Der Richter befragt den Zeugen zu einer E-Mail von Frau Seemann, die der Zeuge in die Ermittlungsakte kopiert hat. Er gibt an sie nur kopiert und sonst nicht mehr unternommen zu haben.

Die Verteidigung knüpft an die Befragung mit der Frage an, ob er sich an Unterhaltungen mit E. Böhm, an E-Mails von diesem oder seiner damaligen Lebensgefährtin Annemarie Kunze erinnert. Letztere habe dem LKA Informationen zu möglichen Tatverdächtigen zugeschickt. Der LKA-Beamte gibt an sich nicht zu erinnern. In der weiteren Befragung versucht die Verteidigung vom Zeugen zu erfahren, was genau er im Ermittlungsverfahren getan hat, ob er nach Tatverdächtigen ermittelt hat, ob er bei der Hausdurchsuchung eines Tatverdächtigen dabei war und ob er Zeugen befragt hat.

Dabei beanstandet die Bundesanwaltschaft einige der Fragen der Verteidigung und auch der Vorsitzende unterbricht die Verteidiger:innen immer wieder. Es entbrennt eine hitzige Diskussion darüber, wie Zeugen zu befragen sind. Dabei haben die Verteidigung und der Richter gänzlich unterschiedliche Auffassungen, vor allem in der Frage, ob Polizeizeugen Vorbereitung zugestanden werden dürfe und die Befragung dementsprechend nur eingeschränkt stattfinden könne. Die Verteidigung argumentiert, Zeugen müssten zu allem befragt werden können und sollen aus ihrer originären Erinnerung sprechen, anstatt aus vorher gelesenen Akten zu referieren. Der Richter erwidert, Polizeizeugen müssen sich sehr wohl vorbereiten. Die Fragen, welche die Verteidigung dem LKA-Beamten stellen möchte, wären zu detailliert und damit nicht Sachgerecht. Er macht damit erneut deutlich wie sehr er zwischen zivilen Zeugen und Beamten unterscheidet. Ein Streit, der im laufe des Verfahrens und auch dieses Verhandlungstages immer wieder aufkommt.

Die Verteidigung richtet sich wieder an den Zeugen Heidler und fragt, ob er von der Zusammenlegung dieses Falles mit anderen, unter anderem mit dem Verfahren wegen Körperverletzung eines Kanalarbeiters in Connewitz weiß und ob er wüsste warum diese Verfahren zusammengelegt wurden. Heidler meint er kennt das andere Verfahren, sie seien zusammengelegt weil der ‚modus operandi‘ ähnlich gewesen sei. Auf Rückfrage, was damit gemeint sei, nennt der LKA-Beamte Körperverletzung aus einer größeren Gruppe auf eine Einzelperson

Die Verteidigung fragt den Zeugen wer im LKA Informationen an Enrico Böhm oder andere weitergegeben hat. Dazu will Heidler nichts sagen und beruft sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Der Zeugenbeistand greift ein und erklärt nach einigem Nachfragen der Verteidigung, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gegen seinen Mandanten läuft und er sich deshalb auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berufe. Er kenne den Umfang des Verfahrens nicht, da mehrere Personen in der Soko LinX oder die gesamte Ermittlungsgruppe von den Vorwürfen der Korruption und der Verletzung von Dienstgeheimnissen betroffen sei. Die Verteidigung möchte das Aktenzeichen dieses Verfahrens wissen um zu prüfen ob dieses Verfahren tatsächlich gegen den Zeugen Heidler anhängig und die Aussageverweigerung damit rechtmäßig ist.

Die Zeugenbefragung wird unterbrochen, bis geklärt ist, ob das Aussageverweigerungsrecht greift.

Es kommt erneut zur Diskussion zwischen der Verteidigung und dem Richter, der nicht einsehen will, wieso erst überprüft werden muss ob der Zeuge tatsächlich Beschuldigter in dem Verfahren ist um die Berufung auf §55 StPO geltend zu machen. Laut Verteidigung seien die bisher bekannten Ermittlungen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, welche gegen Unbekannte geführt worden, eingestellt worden. Es ist daher seltsam dass der Zeuge Heidler sich jetzt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht bezieht.

Es folgt eine Unterbrechung der Verhandlung.

Nach einer kurzen Pause stellt RA Nießing einen Antrag zur Beiziehung der Akte des Ermittlungsverfahrens wegen des Vorwurfs der Durchstechung von Informationen an Unbeteiligte (Nazis/Presse) durch die Soko LinX. Der Vorsitzende lehnt den Antrag ab, da seiner Meinung nach erst geklärt werden müsse, ob ein solches Verfahren überhaupt gegen den Zeugen geführt wird.

Kurze Zeit später betritt RA Kohlmann den Saal, verschwindet aber auch gegen 13:30 Uhr wieder.

RA Klinggräff betont wie selten offensichtlich der vorsitzende Richter an diesem Tag wieder einmal gezeigt hat, welches Sonderrecht Polizeizeugen für ihn gegenüber anderen Zeugen haben und betont, dass sie diesbezüglich gänzlich unterschiedliche Rechtsauffassungen haben.

Und wieder entbrennt eine Diskussion zwischen Vorsitzendem und Verteidigung darüber wie Zeug:innen zu befragen sind und wie sie sich vorbereiten.

Während dessen betreten drei voll bewaffnete Polizeibeamte den Zuschauer:innenbereich, schauen sich die anwesenden Personen an und nehmen am Rand platz.

Nach der nächsten Unterbrechung bemerkt RA Zünbül, dass die anwesenden Polizeibeamten unnötig sind und zur Abschreckung und Einschüchterung der Besucher:innen und somit zur Einschränkung der Öffentlichkeit führen. Der Richter ist für die Sicherung der Öffentlichkeitswahrung im Gericht zuständig und soll diese daher wegschicken.

Der Vorsitzende spielt die abschreckende Wirkung von Schusswaffen herunter und sieht keinen Handlungsbedarf.

Als nächstes wird der Zeuge Szimeiszter vom Kriminalnotdienst zum Tatkomplex Böhm befragt, bei welchem er am Tatort für die Spurensicherung zuständig war.

Der Zeuge beschreibt wie er am Tatort die Spuren, vor allem drei relevante, sicherte. Das waren verwischter Tau auf der Motorhaube eines PKW‘s, einige Flecken auf der Stoßstange eines anderen PKW‘s, die seiner Einschätzung nach durch Pfefferspray verursacht werden könnten, sowie eine dunkle Plastiktüte. In der folgenden Befragung geht es vor allem um die Plastiktüte, auf die er einen Spürhund ansetzen ließ, der daraufhin zum Haus des Geschädigten Böhm lief und auf der sich später verschiedene DNA-Spuren fanden.

Er beschreibt sehr detailliert, wie er dieses Beweismittel gesichert hat und welche Materialien dazu verwendet wurden. Zunächst tat er das Beweismittel in eine Folientüte, die leicht zu öffnen ist, um den Fährtenhund auf das Aservat anzusetzen und danach in eine sogenannte Deba-Breathe-Tüte für die Aufbewahrung des Beweismittels.

Als der Zeuge durch die Verteidigung gefragt wird ob und wie er sich auf die Zeugenaussage vorbereitet hat, antwortet er, er habe sich einige Dokumente aus der Akte durchgelesen.

Weiterhin werden fragen zur Kriminaltechnik und zur Ermittlung der Größe des Tatorts gestellt. Der Tatort beschränkte sich laut Zeuge auf den Bereich zwischen zwei parkenden Autos, wo der Geschädigte zusammengeschlagen worden sei. Im weiteren Umkreis ließen sich keine Spuren finden.

Nach vielen Fragen zum unterschiedlichen Gebrauch der beiden Tüten und Methoden der Spurensicherung fragt die Verteidigung, ob Szimeiszter es möglich wäre, dass der Hund das Aservat berührt und dadurch fremde menschliche DNA auf das Aservat übertragen hat. Szimeiszter sagt, dies sei rein theoretisch möglich. Damit endet die Befragung des Zeugen.

Nach einer Unterbrechung verliest RA Klinggräff eine Erklärung zur Zeugenbefragung
Szimeiszters, in welcher er beantragt, weitere Zeugen zum Tatkomplex Böhm zu laden. Er vermutet Szimeiszter hätte womöglich nicht sorgfältig gearbeitet, und möchte daher einen Sachverständigen der Kriminaltechnik, einen weiteren Beamten, sowie die Hundeführerin Frau Linke als Zeug:innen hören. Die gesamte Verteidigung schließt sich der Erklärung an.

Damit endet der 8. Prozesstag. Zum Ende wird noch bekannt gegeben, dass der für den 8. Oktober angesetzte Fortsetzungstermin entfällt.

Am 7. September geht es regulär um 9:30 Uhr weiter.