Im November 2020 rückte zum wiederholten Male ein größeres Polizeiaufgebot in Connewitz ein und durchsuchte Wohnungen. Als kurz darauf bekannt wurde, dass Lina mit einem Helikopter nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen wurde, um sie dort dem Haftrichter vorzuführen, war klar: Hier sollte öffentlich und mit Nachdruck ein Exempel statuiert werden. Die kurz darauf erschienenen Artikel der Springer-Presse bestätigten diesen Eindruck. Die Justiz- und Ermittlungsbehörden verfolgten einen genauen Plan, der beinhaltete, öffentlichkeitswirksam ein Verfahren gegen Antifaschist:innen zu führen und parallel zu deren Verunglimpfung im medialen Diskurs beizutragen. Gezielt wurden über die letzten Monate hinweg immer wieder Akteninhalte an bestimmte Presseorgane weitergegeben, welche diese bereitwillig nutzten, um das wirkmächtige Bild einer brutalen Terrorgruppe zu zeichnen, die der politischen Meinungsfreiheit und dem Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates den Kampf angesagt hatte.
Mediale Inszenierung
Dieses Bild wurde selbstverständlich nicht im luftleeren Raum gezeichnet: Bereits seit einigen Jahren arbeiten diverse Verfassungsschutzämter in Kooperation mit verschiedenen Medien wie Welt, Focus oder BILD eifrig daran, eine neue Schwelle der Gewalt von links herbeizureden. Immer wieder wird von einer Steigerung der Intensität und Professionalität linker Militanz fabuliert. Mit eindrücklichen Buzzwords wie der Gefahr einer „neuen RAF“ oder der „Schwelle zum Terrorismus“ wird ein Bild bedient, das den Schluss nahelegt, die Demokratie würde von links bedroht. Diese Erzählung bildet wohl auch die Grundlage der Übernahme des Verfahrens gegen Antifaschist:innen aus Leipzig, Berlin und Weimar durch die Bundesanwaltschaft. Offiziell wird die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts dadurch begründet, dass eine kriminelle Vereinigung vorliege, deren vermeintliche Taten an der Schwelle zum Terrorismus angesiedelt seien. Diese Vereinigung würde sich ideologisch durch eine Ablehnung des Gewaltmonopols des Staates und eine Ablehnung der Meinungsfreiheit auszeichnen und somit Angriffe auf die innere Sicherheit und das Sicherheitsgefühl ganzer Bevölkerungsgruppen verüben.
Vorgeschobene Begründungen
All diese Argumente und angeblichen Gründe für eine Übernahme des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft sind jedoch fadenscheinig und erscheinen vorgeschoben. Die Meinungsfreiheit ist ein Schutzrecht, das die Bürger:innen vor Einschränkungen durch den Staat schützen soll. Sie bezieht sich explizit nicht auf das Verhältnis von Bürger:innen untereinander, sondern wäre eher gefährdet, wenn beispielsweise die Polizei gewalttätig gegen bestimmte Meinungen vorgehen würde. Wenn Antifaschist:innen – wie in diesem Fall vorgeworfen – gegen gewalttätige Nazis vorgehen, ist die Meinungsfreiheit dadurch keineswegs bedroht. Dass ein friedlicher politischer Meinungskampf auch von Nazis selbst nicht angestrebt wird, zeigt ein Blick auf die vermeintlich betroffenen Personen und Gruppierungen (siehe: hintergrund). Des Weiteren haben die vermeintlich betroffenen Nazis auch nach den angeblichen Angriffen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Teilhabe weiter munter ausgelebt. So beteiligten sie sich etwa im Sommer und Herbst 2020 an den großen Querdenken-Demonstrationen und damit verbundenen rechten Ausschreitungen in Berlin und Leipzig. Das einzige, was spürbar abnahm, war die Zahl der rechten Gewalttaten etwa in Eisenach, wo die lokalen Nazis seit Jahren durch eine Vielzahl von Angriffen auf Andersdenkende aufgefallen waren.
Auch die Behauptung, die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner würde von antifaschistischer Seite zunehmend brutaler und enthemmter geführt, welche seit Jahren durch VS-Analysen und PMK-Berichte befeuert wird, ist schlichtweg falsch. Faschisten im Allgemeinen und Teile der in diesem Verfahren als Nebenkläger auftretenden Nazis im Besonderen betrachten den militanten Straßenkampf als elementaren Bestandteil ihrer Ideologie und Praxis. Sie veranstalten große Kampfsportevents, auf welchen sie sich für Angriffe auf politische Gegner und von ihnen als Feinde markierte Personen vorbereiten und für den Tag X trainieren. Sie unterhalten Kontakte zu terroristischen Gruppierungen, die sich den militanten Kampf auf die Fahnen geschrieben haben. Diese Gewalt existiert unabhängig von antifaschistischen Interventionen und wird durch selbige lediglich gemindert. An Beispielen hierfür mangelt es nicht.
Dass durch die vermeintlichen Taten der vom LKA Sachsen konstruierten kriminellen Vereinigung ganze Bevölkerungsgruppen in Angst und Schrecken versetzt würden, erscheint bei genauerem Hinsehen ebenso absurd wie die angebliche Bedrohung der Meinungsfreiheit. Augenscheinlich sind alle angeblich von Angriffen betroffenen Personen Angehörige der rechten Szene oder sogar in militanten faschistischen Kreisen organisiert gewesen. Dass nun militante Neonazis von der Bundesanwaltschaft zu einer bedrohten Bevölkerungsgruppe umfunktioniert werden, nur um den Angeklagten Antifaschist:innen quasi-terroristisches Agieren unterstellen zu können, ist besorgniserregend.
Genauso vorgeschoben erscheint das technische Argument, der in diesem Verfahren notwendige Ermittlungsaufwand sei von der Generalstaatsanwaltschaft des Landes nicht zu stemmen und erfordere eine Zuständigkeit des Bundes. Auch in der Vergangenheit wurden Verfahren nach § 129 über Jahre hinweg mit größtem Ermittlungseifer und erstaunlichem Willen von Landeskriminalämtern gegen Antifaschist:innen geführt. Es ist also offenkundig, dass sich hinter der medial spektakulär inszenierten Übernahme des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft eine gänzlich andere Motivlage verbirgt.
Die stille Verschärfung des § 129
So wurde etwa durch eine im Jahre 2017 erfolgte Gesetzesänderung eine bestimmte Lesart des § 129 etabliert, die ab sofort bestimmte Merkmale einer kriminellen Vereinigung nicht mehr erfordert. So ist z.B. keine Gruppenkasse und keine feste Gruppenmitgliedschaft mehr nötig, um Personen nach § 129 zu kriminalisieren. Die Befürchtung liegt nahe, dass die Bundesanwaltschaft in diesem Falle an den angeklagten Antifaschist:innen einen prominenten Präzedenzfall schaffen möchte, um auch in Zukunft besser und effektiver gegen konsequenten Antifaschismus und andere Formen linken Engagements vorgehen zu können. Die Auswirkungen einer Verurteilung wären somit nicht nur für die Angeklagten und alle weiteren in diesem Verfahren Beschuldigten gravierend, sondern auch für die Bedingungen linker Politik im Allgemeinen.
Die Bundesanwaltschaft könnte in diesem Verfahren also nicht nur nach außen hin klarstellen, dass der Rechtsstaat konsequenten Antifaschismus in keiner Weise duldet und hart gegen Linke durchgreift. Es könnte zusätzlich ein wirkmächtiges Beispiel und ein Präzedenzfall für die Verfolgung antifaschistischen Handelns geschaffen werden, der die Bedingungen der staatlichen Verfolgung von Linken deutlich lockert. Es handelt sich hierbei also auf verschiedenen Ebenen um ein durch und durch politisches Verfahren.