Der Fall Lina E.: Politisierung eines Staatsschutzverfahrens

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Der folgende Artikel von Matthias Soika wurde am 13.01.2022 auf der Blogplattform der taz veröffentlicht. Wir dokumentieren ihn an dieser Stelle.

Die Kriminalisierung der linken Szene erfährt einen neuen Höhepunkt. Werden nun Fakten geschaffen?

Lina E. steht als Hauptbeschuldigte vor dem Oberlandesgericht Dresden und sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Lina E. und drei weitere Angeklagte, vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden, wegen angeblicher Angriffe auf Neonazis und der Mitgliedschaft einer „kriminellen Vereinigung“. Mittlerweile läuft das Verfahren, welches jedoch durch Ermittlungs- und Verfahrenskontroversen massiv in die Kritik geraten ist.

Es ist der 5. November 2020, als ein blauer Hubschrauber der Bundespolizei in Karlsruhe landet und Lina E., in Begleitung mehrerer Beamt:innen, das Gelände des Bundesgerichtshofs betritt. Aufnahmen dieser Situation gehen durch die Medien und zeichnen ein Bild von exekutiver Machtdemonstration – der große Hubschrauber, die vermummten Beamt:innen, und mittendrin eine 26 Jährige Studentin. Die gesamte Inszenierung gleicht der Behandlung einer Terroristin und gibt einen Vorgeschmack auf den folgenden Prozess.

Doch um einen Terrorismus-Prozess handelt es sich hierbei nicht. In den Anschuldigungen geht es, neben Delikten der Körperverletzung oder auch des Landfriedensbruchs, zentral um den Paragrafen 129 des Strafgesetzbuches, der die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt und dessen Lina E. und die drei Mitangeklagten unter anderem beschuldigt werden. Zwischen 2018 und 2020 sollen sie Angriffe auf Neonazis geplant und durchgeführt haben. E. wird innerhalb der möglichen Gruppierung die Rolle einer Rädelsführerin zugesprochen.

Dünne Beweislage und fragwürdige Ermittlungsgrundlage

Beauftragt wurde die sogenannte Sonderkommission Linx des Landeskriminalamts Sachsen, mit dem Schwerpunkt linke Gewalt, die Beschuldigten zu überwachen und zu observieren. Dies lässt der Paragraf 129 zu, welcher in der Vergangenheit schon in der Kritik stand Freiheitsrechte einzuschränken. Die Soko Linx ging einige Male, mit schwersten Eingriffen in die Privatsphäre, erfolglos gegen die linke Szene in Sachsen vor – so auch in diesem Fall. Konkret geht die Indizienlage nicht über den Fund von vermeintlichen Beweisgegenständen, wie Perücken oder geklauten Hämmern hinaus.

Aus den Ermittlungen ergaben sich Hinweise, die durch die Anwälte von Lina E., Björn Elberling und Erkan Zünbü, als wage und unzureichend angesehen werden. Hinzukommt, dass der schwere Vorwurf der Mitgliedschaft einer „kriminellen Vereinigung“ wohl nicht einmal in den Ermittlungsakten nachzuweisen sei. In einer Pressemitteilung der beiden Verteidiger heißt es in Bezug zur dünnen Beweislage der Vereinigungsthese: „Dies zeige schon ein Blick in Aktenband 2 der Ermittlungsakte mit der Überschrift „Organisation“ – denn der ist komplett leer.“

Eine von Rechten infiltrierte Sonderkommission?

Der gesamte Prozess, das steht fest, basiert auf Ermittlungen einer Sonderkommission, welche nicht nur in weiten Teilen erfolglos agiert, sondern ebenfalls auf der Tatsache, dass es in den eigenen Reihen Lecks über sensible Ermittlungsdaten gibt.

Es wurde bekannt, dass Interna aus der Ermittlungsarbeit gegen die linke Szene an das rechtsradikale und vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte „Compact- Magazin“ weitergegeben wurden.

Vor kurzem wurde der, in diesem Zusammenhang,  im Verdacht stehende Beamte Patrick H., ein Ermittler der Soko Linx, gegen den ein Verfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses lief, zwar entlastet, jedoch kam es, ob direkt oder indirekt, zu Informationsflüssen von Ermittlungsakten zwischen dem LKA und dem rechten „Compact-Magazin“. Dass der Beamte mindestens fahrlässig gehandelt hat, seine dienstlichen Geräte nicht genügend gesichert haben soll und eine Person aus seinem Bekanntenkreis diese Daten dann an ein rechtes Magazin weitergeleitet haben soll – so die nun offizielle Version -lässt trotz rechtlicher Klarheit mindestens Raum für viel Sorge und Spekulation.

Ebenfalls brisant: „kreuzer online“ berichtete im Mai 2020 beispielweise darüber, dass die Soko Linx aus dem näheren Umfeld des Neonazis Enrico Böhm Informationen über die linke Szene entgegengenommen haben soll und sie, unabhängig vom Fall Lina E., in Ermittlungsarbeit einfließen ließ.

Somit bleibt ein mehr als fader Beigeschmack – es entsteht offenkundig die beunruhigende Vermutung, dass das LKA Sachsen von rechts-außen infiltriert ist und in den eigenen Reihen enge Kontakte ins rechtsradikale Milieu bestehen. Und ganz gleich, ob im Fall Patrick H. juristisch Löcher gestopft wurden, es bleiben nicht nur starke Zweifel an der Ermittlungsarbeit der Soko Linx, auch die Glaubwürdigkeit der strafverfolgenden Akteure im Allgemeinen dürften beschädigt sein.

Politisierung von Polizei und Justiz

Die Kontroversen um die Soko Linx begannen bereits vor dem Fall Lina E. und gehen zurück in das Jahr 2019, in der die CDU-Sachsen aus wohl wahltaktischen Gründen die Soko in den sächsischen Polizei-Apparat installierte. Im Bürgermeister:inwahlkampf in Leipzig  brauchte die CDU wohl einen Stimmenfänger für den rechten Rand und fand mit der Sonderkommission Linx ein geeignetes Instrument.

Und auch der leitende Ermittler, Dirk Münster, erscheint in der Öffentlichkeit eher wie ein Scharfmacher, der durch Polemik auffällt. Die Verhaftung von Lina E., so Münster, sei für ihn „nicht das Ende des Kampfes gegen linke Gewalt, sondern erst der Anfang“.

Die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, eine Instanz, die den Bund selbst vertritt, und vor allem in Sachverhalten wie Terrorismus, Völkerstrafrecht, Revision und Spionage aktiv wird, muss sich im Fall Lina E. ebenfalls die Frage nach Integrität gefallen lassen. Dass nun genau jenes Gericht Lina E. auf Grund einer dünnen Beweislage und fraglichen Ermittlungsergebnissen anklagt ist mehr als fraglich und erweckt den Anschein eines politisierten Prozesses. Der Generalbundesanwalt spricht sogar in der Anklageschrift von einem „hinreichenden Verdacht“ in allen Anklagepunkten. Als hinreichend wird im juristischen Sinne die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung bezeichnet.

Narrativ: Das Schreckgespenst Rote-Armee-Fraktion

Die vor allem konservativen berichtserstattenden Medien – zum Fall Lina E. – teilen eine ähnliche Narration. Es wird häufiger von der „Gruppe E.“ gesprochen, oder auch von einer „neuen RAF“.

Die Bezeichnung „Gruppe E.“ impliziert bereits eine Anschuldigung, die auch der Generalbundesanwalt formuliert hat und die im Zusammenhang mit der, in Presse und Öffentlichkeit wahrgenommenen Sicht auf Lina E. und den mit ihr in Verbindung gebrachten Vorfällen das Bild einer kriminellen Vereinigung wohl verfestigen soll.

Auf parlamentarischer Ebene wird die Situation von Rechtsaußen für eigene Zwecke missbraucht. Die AfD im sächsischen Landtag versucht beispielsweise durch Plenardebatten, Anträge und Anfragen an die Landesregierung mit rechtsradikaler Rhetorik die Blicke von sich und der großen Gefahr des rechtsextremen Terrors zu lenken. So stellte die AfD am 4. Februar 2021 einen Antrag unter dem Namen „Neue RAF verhindern – kein Rückfall in die 70er-Jahre“ und forderte das Kabinett auf härtere Maßnahmen gegen die linke Szene in Sachsen zu ergreifen.

Die Gleichzeitigkeit solcher absurden Forderungen und der Tatsache, dass es tatsächlich in den letzten Jahren zu einer erschreckenden Entwicklung in Sachen Terror gekommen ist, jedoch nicht von Links, sondern von Rechts, lässt nur einen Schluss zu: Politische Ablenkmanöver. Ironisch erscheint in dem Zusammenhang, dass der sächsische Landesverband vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird.

Der Vergleich, im Fall Lina E., zur RAF ist in vielerlei Hinsicht problematisch, so wird die Stilisierung unter anderem in Presse und Öffentlichkeit getragen, sie verzerrt nicht nur die Wahrnehmung, sie soll ganz klar von Hanau, den NSU-Morden und über 200 weiteren rechtsradikalen Morden und Terroranschlägen ablenken, die es im Verlauf der letzten Jahre gegeben hat.

Die Macht des Staates und die Gefahren rechter Unterwanderung

Obwohl das Verfahren erst in den Anfängen steht, eines ist klar: Was der Fall Lina E. jetzt schon zeigt, ist der Versuch rechter und konservativer Kräfte den Scheinwerfer der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die linke Szene zu lenken. Eine Vereinnahmung, sogar staatlicher Akteure, von Rechts- und Rechtsaußen ist bereits im Gange und war wohl nie wirklich verschwunden. Diese besorgniserregenden Erkenntnisse lassen besonders Fragen zur Machtkonstruktion der Polizei innerhalb unseres politischen Systems zu.

Der antifaschistische Kampf ist für die Freiheit einer Gesellschafft unerlässlich, weswegen das Aufzeigen von Repression und Machtmissbrauch immanent ist. Doch was folgt nun aus einem, durch Strafverfolgung und Strafermittlung, dermaßen stark politisierten Prozess? Wird der Fall Lina E. zu einem Präzedenzfall, in dem die linke Szene noch stärker in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt wird?