Jeder Schritt und jedes Wort werden überwacht

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Unser Beitrag zur Sonderzeitung der Roten Hilfe anlässlich dem 18. März 2022 (PDF, Seite 6)

Seit September letzten Jahres läuft der Prozess gegen vier Angeklagte im so genannten Antifa-Ost-Verfahren am Oberlandesgericht Dresden wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129. Der konstruierten Gruppe wird vorgeworfen, Nazis in Sachsen und Thüringen angegriffen zu haben. Da der Generalbundesanwalt als politische Instanz das Verfahren an sich genommen hat, ermittelt in dem Fall die Bundesanwaltschaft, und aus diesem Grund wird vor einem Oberlandesgericht verhandelt. Lina, eine der derzeit vier angeklagten Personen, befindet sich seit November 2020 in Untersuchungshaft. Nachdem sie verhaftet wurde, wurde sie mit dem Helikopter nach Karlsruhe geflogen, um den Haftbefehl zu bestätigen. Seither sitzt sie in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Chemnitz in Untersuchungshaft und unterliegt dort strengen Auflagen. Hinzu kommen Verschärfungen aufgrund der Covid-19-Pandemie, die alle Gefangenen weltweit hart treffen und die Isolation komplettieren.

Sie wird nun zweimal wöchentlich aus der JVA Chemnitz nach Dresden gefahren und muss sich dem Prozess stellen, welcher noch bis Juni diesen Jahres angesetzt ist. Innerhalb des Prozesssaals wird sie weiterhin streng beobachtet und versucht, so eine Gefährlichkeit zu konstruieren, die es offensichtlich nicht gibt, deren Propagierung jedoch dem Verurteilungswillen und der Argumentation des Senats und der Bundesanwaltschaft dient. Jeder Blick zu anderen Angeklagten oder Zuschauenden wird argwöhnisch beobachtet und jedes gesprochene Wort unterbunden. Nach den Prozesstagen steht dann wieder die Fahrt nach Chemnitz an, wo der widerliche Alltag eines Gefangenenlebens weitergeht.
Die JVA Chemnitz ist die zentrale Frauenvollzugsanstalt der Freistaaten Sachsen und Thüringen. Hier werden also alle weiblichen Gefangenen, mit Ausnahme der Abschiebegefangenen, beider Bundesländer eingesperrt. Das führt zu dem weiteren unangenehmen Umstand, dass Lina sich im selben Knast befindet wie Beate Zschäpe, was vielfach in den Medien ausgeschlachtet wird und der Verteidigung der Extremismustheorie dient. Die Gegenüberstellung der beiden Gefangenen soll ein Bild zeichnen, welches die Gefahr, die angeblich von Lina ausgeht, mit der einer rassistischen Mörderin gleichsetzt. Die Unterscheidung der willkürlichen faschistischen Gewalt einer Person, die für den Tod von zehn Menschen verantwortlich ist, und einer Person, der vorgeworfen wird, faschistische Kader an Orten angegriffen zu haben, an denen sie eine rechte Hegemonie durchsetzen konnten, wird nicht gemacht.
Die Tatsache, dass beide im selben Knast sitzen, sorgt für noch mehr Einschränkungen in den Haftbedingungen für Lina, da die beiden physisch getrennt bleiben sollen und damit Aktivitäten, Hofgänge und Besuche auch von den Anmeldungen Zschäpes abhängen (können).

Zudem hat der Staatsschutz ein besonderes Interesse daran, Solidaritätsbekundungen von draußen für Lina möglichst zu unterbinden. Bei Demonstrationen vor dem Knast wird der gesamte Betrieb umgestellt, Hofgänge werden verschoben oder ausgesetzt, und es wird viel daran gesetzt, dass die Gefangenen die Grußbotschaften nicht hören können. Bei dem Versuch, Lina zu ihrem ersten Geburtstag im Knast eine Grußbotschaft über die Mauern zukommen zu lassen, wurden Menschen von Zivis verhaftet, die sich offensichtlich darauf eingestellt hatten und alles daran setzten, derartige Zeichen der Solidarität zu unterbinden.

Die Untersuchungshaft an sich ist geprägt von einem steten Wechsel der Gefangenen, und jeder Sozialkontakt wird erschwert, sofern sich die Dauer der Untersuchungshaft verlängert. Nach weit über einem Jahr Haft sind in der Regel alle Mitgefangenen schon verhandelt und verurteilt oder entlassen, und mensch muss sich immer wieder auf neue Menschen einlassen ohne die Option einer längerfristigen vertrauten Beziehung. Dies ist gerade in Bezug auf die Pandemie und die weitreichenden Einschränkungen, was Besuche angeht, eine besondere Belastung. Momentan dürfen nur Familienangehörige Gefangene besuchen, Körperkontakt ist verboten, und es gelten 3G-Regeln, Nachweis- und Maskenpflicht und Trennscheibe. So ist es den Gefangenen nicht einmal möglich, die Gesichter ihres Besuchs in Gänze zu sehen, geschweige denn, sich einmal in den Arm zu nehmen.
Selbst ohne Pandemiebedingungen werden Strafgefangenen in der JVA nur vier Stunden Besuch im Monat zugestanden, welche auf maximal vier Besuche aufgeteilt werden können. Im Falle der Untersuchungshaft müssen zuständige Richterinnen oder die Staatsanwaltschaft die Besuchsanträge prüfen; das dauert länger, und gerade bei politischen Verfahren werden diese nicht selten abgelehnt. Der Besuch dauert hier eine Stunde und wird in der Regel überwacht, sodass eine vertraute Atmosphäre nicht umsetzbar ist. Besuchstermine an Wochenenden sind selten möglich, was vor allem für Angehörige, die von weit her anreisen, die Terminfindung erschwert. Geld können die Gefangenen nur erhalten, wenn ein ganz bestimmter Verwendungszweck angegeben wird, und es ist nicht möglich, dies anders zu nutzen; zudem sind keine Paketsendungen gestattet. Dieser Umstand zwingt die Gefangenen, sich selbst für sehr viel mehr Geld als draußen im knasteigenen Markt zu versorgen. Dieser Markt gehört Massak, welcher ein Monopol besitzt, wenn es darum geht, aus dem Elend anderer Profit zu schöpfen. Sie versorgen mehr als zwei Drittel deutscher Knäste und stehen außer Konkurrenz. Die wenigen Stimmen, die nach außen dringen und über die überteuerten, alternativlosen Artikel berichten, können dem guten Ruf der Firma schwerlich schaden. Aber nicht nur der Zugang zu Nahrung und Kosmetika ist derart eingeschränkt und kostspielig. Die Gefangenen in der JVA Chemnitz müssen auch für das Waschen ihrer Wäsche zahlen und dürfen sie nicht, wie in vielen anderen Knästen, von Freundinnen und Angehörigen waschen lassen. Vor allem für Untersuchungsgefangene ist der Zugang zu Kleidung schwierig. Es darf nur zweimal im Jahr, im Sommer und Winter, je ein Kleidungspaket in den Knast geschickt werden, und dafür muss detailliert angegeben werden, um was für Kleidung es sich handelt, selbst die Farbe muss stimmen. So dauert es meist lange, bis Untersuchungshäftlinge die Anstaltskleidung ablegen und ihre Privatsachen tragen können, und wenn es doch im Sommer mal etwas kälter wird, haben sie Pech gehabt.

Um sich um all diese Dinge zu kümmern und die Isolation zu durchbrechen, können die Gefangenen Briefe schreiben. In der Untersuchungshaft gehen diese jedoch über den Tisch der zuständigen Staatsanwaltschaften, und das verzögert die Kommunikation mitunter für Wochen. Gerade in einem Verfahren wie dem hiesigen ist die Kontrolle besonders scharf, Dinge, die sonst einfach durchkommen würden, werden zur Habe genommen, und jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Abgesehen von der allumfassenden Kontrolle ist so keinerlei Kommunikation möglich, die nicht mitgehört oder gelesen wird, und vor allem in Untersuchungshaft bedeutet dies ein Hemmnis, offen mit Vertrauten, aber auch fremden solidarischen Menschen zu kommunizieren. Sie setzen alles daran, die Isolation aufrechtzuerhalten, die Gefangenen von der Außenwelt abzuschirmen und ihnen ihre Stimmen zu nehmen.

Innerhalb der Knastmauern gibt es einige Angebote, die der „Resozialisierung“ dienen sollen und die Frauen* mitunter auch zusammenbringen. Speziell im Frauenknast gibt es „Freizeitangebote“, die sexistische Grundannahmen zu den Interessen von weiblichen Gefangenen reproduzieren; so wollen doch sicher alle einen Strick- oder Töpferkurs besuchen.

Die JVA Chemnitz wirbt auch mit ganz besonderen Angeboten, die die Haftzeit angeblich erleichtern sollen. Es gibt eine geringe Anzahl an Plätzen für den offenen Vollzug und großzügige Angebote, Mütter mit Kindern unterzubringen und ihnen sogar ein Mütter-Kompetenz-Training anzubieten. Laut eigener Aussage der JVA sind die Mehrzahl der Gefangenen Mütter. Fast alle Angebote für die Gefangenen basieren auf der Annahme, dass sie süchtig oder arm sind, was eine Reflexion eben der Gruppe Menschen ist, die eingesperrt werden.

Dieser Knast unterscheidet sich kaum von einem anderen, und doch ist es immer wieder wichtig, einen Einblick in die Strukturen zu bekommen, die unseren Freundinnen und Genossinnen auferlegt werden. Kein Schritt ist selbst gewählt, und keiner bleibt den kontrollierenden Augen der Schließer*innen verborgen. Diejenigen, die sie wegsperren, sollen sich anpassen, ihre Stimme und ihr Selbstwertgefühl verlieren, um Teil eines Systems der Gehorsamen zu werden.
Um dieser Strategie etwas entgegenzusetzen, müssen wir die Gefangenen unterstützen und uns offen mit ihnen solidarisieren, ihnen schreiben, für sie demonstrieren und zumindest in Gedanken die Mauer durchbrechen, die sie zwischen uns stellen.