junge Welt – 29.12.2021
Dresden: Oberlandesgericht bestimmte weitere Termine im Prozess gegen Antifaschisten. Als Zeuge geladener Neonazi schaffte es nur bis zum Eingang
Es war der letzte Prozesstag in diesem Jahr. Das Verfahren gegen die Leipziger Antifaschistin Lina E. und weitere Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Dresden wird erst 2022 fortgesetzt. Gegenstand des Verhandlungstages am Mittwoch vergangener Woche waren ein beschlagnahmter Brief sowie die Frage, ob dessen Beschlagnahme überhaupt zulässig ist. Des weiteren erläuterte ein medizinischer Gutachter Fakten über die vermeintlich schweren Verletzungen eines Geschädigten. Das Gericht kündigte zudem an, das Prozessende verschieben zu wollen. Es seien »jeweils mittwochs und donnerstags bis Ende Juni 2022 (mit Ausnahme der Woche nach Ostern) weitere Termine bestimmt worden«, heißt es in einer Mitteilung vom 22. Dezember. Zum Abschluss des Verfahrens könnten »derzeit noch keine Aussagen« getroffen werden, so das Gericht.
Der vermeintlich Geschädigte war ebenfalls als Zeuge geladen. Doch der Neonazi, der angegeben hatte, am 15. Februar 2020 am Wurzener Bahnhof verprügelt worden zu sein, habe beim verspäteten Eintreffen vor dem Eingang des OLG wieder kehrt gemacht, wie der Journalist Edgar Lopez am Verhandlungstag auf Twitter berichtete. »Er sagte, er war hier, und hier waren Leute«, die er der Antifa zuordnen würde, weshalb er sich »nicht mehr sicher fühlen« würde, zitierte Lopez den vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats. Gegen den Zeugen sei daraufhin ein Ordnungsgeld von 100 Euro, ersatzweise ein Tag Ordnungshaft, verhängt worden.
Im weiteren Verlauf wurden mehrere Aufnahmen in die Verhandlung eingebracht, die während der Razzia bei den Beschuldigten Antifaschisten Jannis R. Und Lennart A. von der Polizei angefertigt worden waren, wie Lopez berichtete. Für Verärgerung auf der Richterbank sorgte schließlich eine kleine Solidaritätsaktion nach Ende des Verhandlungstermins, als die Mutter von Lina E. und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer das Lied »In der Weihnachtsbäckerei« anstimmten.
Lina E. befindet sich seit dem 5. November 2020 in Untersuchungshaft, nachdem an ihrem Wohnort und weiteren Adressen Hausdurchsuchungen durchgeführt worden waren. Den Angeklagten werden Körperverletzungsdelikte gegen Personen aus der rechten Szene vorgeworfen. Das Hinausschieben des Prozessendes lässt breiten Raum für Spekulationen über die tatsächliche Beweislage gegen die Angeklagten zu. Für Lina E. bedeutet dies insgesamt 19 Monate Untersuchungshaft. Mit einer vorzeitigen Haftentlassung ist nicht zu rechnen, da die vier Antifaschistinnen und Antifaschisten auch wegen »Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung« angeklagt sind. Der berüchtigte Gesinnungsparagraph 129 Strafgesetzbuch bietet den Ermittlungsbehörden darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten, das gesamte soziale Umfeld der Betroffenen auszuspionieren.
Seit Beginn des Verfahrens kritisieren Prozessbeobachter die Übernahme der Anklage durch die Bundesanwaltschaft, die ohne den Anklagepunkt »kriminelle Vereinigung« so nicht möglich gewesen wäre. Durch zahlreiche Verlautbarungen der Behörden sowie entsprechende Artikel in konservativen und rechten Medien wurde eine Kampagne gegen die antifaschistische Bewegung inszeniert, in der Lina E. zur Rädelsführerin gemacht wurde. Dabei scheint die Anklage von Anfang an auf tönernen Füßen zu stehen. Neu wäre das nicht, scheiterten doch in den vergangenen Jahren mehrere entsprechende Paragraph-129-Verfahren gegen Linke in Sachsen nach jahrelangen kostspieligen Ermittlungen.
Auch in diesem Verfahren kommen zahlreiche Ungereimtheiten zusammen. Da wäre ein NPD-Mann, der schon im September dieses Jahres vor Gericht nach mehrmaliger Nachfrage darauf bestand, ausschließlich von mehreren Männern angegriffen worden zu sein. Recherchen des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer ergaben zudem, dass die Ermittler bereits seit 2018 mit Materialien arbeiten, die ihnen von der ehemaligen Lebensgefährtin eines bekannten Leipziger Neonazikaders übergeben wurden. Die zuständige »Soko Linx« legt einen besonderen Verfolgungseifer an den Tag, weswegen ihr von antifaschistischer Seite bescheinigt wird, als politischer Akteur aufzutreten. Inzwischen wird gegen mindestens einen Beamten wegen der Weitergabe von Informationen an ein rechtes Magazin ermittelt.