Im Folgenden möchten wir ein kurzes Update zur Urteilsverkündung und den darauf folgenden Tagen geben. Hierbei gehen wir auf das Strafmaß und die absurden Begründungen ein, sowie auf die Revision und die vielschichtige Solidarität.
Das Urteil
Nach fast einhundert Tagen, in denen kaum Zweifel an dem unbedingten Verurteilungswillen des Senats am OLG Dresden aufkam, fand am 31. Mai die Urteilsverkündung gegen die vier angeklagten Antifaschst:innen statt.
Entsprechend langatmig, garniert mit zahlreichen Falschinterpretationen, vor allem aber gespickt mit abenteuerlicher Auslegung, begründete der Vorsitzende des Staatsschutzsenat, Hans Schlüter-Staats, sein Urteil.
Als würde die Auswahl einer Speisekarte präsentiert werden, verhängte das Gericht im einzelnen 5 Jahre und 3 Monate Haft gegen die bereits seit 2 Jahren und 7 Monate im Knast einsitzende Angeklagte. Die drei anderen Gefährten wurden zu 2 Jahren und 5 Monaten, 3 Jahren sowie zu 3 Jahren und 3 Monaten Knast verurteilt.
Die dem Urteil folgende Begründung dauerte fast neun Stunden und ließ zum Teil selbst anwesende Journalist:innen verständnislos zurück. Kleinteilig wurden verschiedene Indizien aufgezählt, die sowohl für als auch gegen eine Tatbeteiligung der Angeklagten sprachen, um zu guter Letzt aber fast jeden Tatkomplex mit den Worten „in der Gesamtschau hat das Gericht keinen Zweifel an der Tatbeteiligung“ abzuschließen.
Im Komplex des Kanalarbeiters, welcher schon vorher durch vor allem konservative Presseorgane, insbesondere aber nach der Verkündung des Urteils, die Gewalttätigkeit unserer Gefährt:innen illustrieren sollte, wurde vom Gericht die vermeintliche Legitimation des Urteils hervorgehoben. So wurde eine Geschichte eines vermeintlich unpolitischen Bauarbeiters erzählt, der lediglich zum falschen Zeitpunkt mit der falschen Mütze am falschen Ort seiner Arbeit nachging. Dass dieser im Prozess gelogen hatte, als er beschrieb, dass die Mütze lediglich ein Geschenk eines alten Freundes im Jahr 2011 war, aus einer Zeit als er den Rechten noch etwas näher stand, passte nicht in das Bild des Gerichts. Das Label „Greifvogel Wear“, welches vor allem in Sachsen durchaus auch „Normalbürgern“ als Nazi-Marke bekannt ist, wurde erst zwei Jahre später, im Jahr 2013 vom Neonazi Sebastian Raack gegründet.
Als Argument für die Tatbeteiligung reichte dem Senat die Nähe des Wohnorts einer angeklagten Person und die Fluchtrichtung, die zu derselben Straße geführt haben soll.
Auch die Konstruktionen, die das Gericht vornahm, um einen der Angeklagten schließlich zu 3 Jahren und 3 Monaten Haft zu verurteilen, stellte die Feindstrafrechts-Perspektive des Gerichts deutlich heraus.
Der Vergewaltiger Johannes Domhöver sagte aus, dass er sich von dem Angeklagten ein Auto lieh, um bei einem Angriff auf Leon Ringl und seine Kameraden mitzuwirken. Dabei erwähnte er explizit, dass er dem Angeklagten nicht erzählte, aus welchen Gründen er das Auto lieh. Dennoch unterstellte das Gericht dem Angeklagten ein Mitwissen an der bevorstehenden Tat und verurteilte ihn daher wegen Beihilfe zu besagtem Angriff auf Leon Ringl.
Im Tatkomplex Wurzen ist der Senat bei zwei Angeklagten zu dem Schluss gekommen, dass sie daran beteiligt gewesen sein sollen, weil sie sich am Morgen, zehn Stunden vor der Tat und in einer anderen Stadt, darüber unterhalten haben sollen, dass sie zusammen rumlaufen würden und Pfefferspray und Handschuhe dabei hätten. Der Senat war der Überzeugung, dass sie in diesem Gespräch den Angriff auf die Neonazis in Wurzen geplant hätten, statt darüber zu sprechen, zum sogenannten „Trauermarsch“ nach Dresden zu fahren. Die Begründung war so knapp wie absurd: Die Angeklagten würden ja wissen, dass ein Pfefferspray auf einer Versammlung illegal sei und würden so etwas ja nicht tun und müssten daher über den Angriff am Abend gesprochen haben.
Zwei Interpretationen des Gesagten in der Innenraumüberwachung von Fahrzeugen konnten durch die Verteidigung widerlegt werden. Dies reichte jedoch nicht aus, um die übrigen beiden Gespräche, welche als Indizien gelten, infrage zu stellen. Im Gegenteil wurde erklärt, dass der Senat davon überzeugt sei, die Interpretation würde stimmen und verurteilte alle Angeklagten ohne Zweifel für die vorgeworfenen Taten.
Selbstverständlich legten die Angeklagten im Nachgang Revision gegen das Urteil ein. Der Bundesgerichtshof als zuständiges Revisionsgericht prüft das Urteil hierbei jedoch nur auf formelle Rechtsfehler. Eine Überprüfung der Beweise bzw. der Beweiswürdigung findet hingegen nicht statt. Die grotesken Annahmen des Gerichts, die Interpretation der Audiomitschnitt aus den abgehörten Fahrzeugen oder auch die Glaubhaftigkeit Domhövers Aussagen, werden nicht noch einmal betrachtet.
Auch die Bundesanwaltschaft legte Revision gegen die Urteile ein. Es scheint als würden den Staatsanwält:innen Alexandra Geilhorn und Lorenz Mödl die insgesamt fast 14 Jahre Haft nicht ausreichen, denen sich unsere vier Gefährt:innen nun gegenübersehen.
Parallel zu dieser Horrorshow fand vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt, an der viele solidarische Menschen teilnahmen. Über viele Stunden wurden Redebeiträge verlesen, Parolen gerufen und Informationen aus dem Saal geteilt.
Der Oberstaatsanwältin der Bundesanwaltschaft, Alexandra Geilhorn, wurde das Goldene Hufeisen verliehen und auf der Kundgebung ausgestellt.
Tag X – Propagandaschlacht von Staat & Bullen
Schon in den Tagen vor der Urteilsverkündung zogen sämtliche Propagandaabteilungen der Behörden alle Register. Von Szenen wie beim G20 Gipfel 2017 in Hamburg war die Rede und die Vorverurteilung der Angeklagten wurde munter fortgesetzt. Bezüge und Vergleiche zu allen möglichen Ereignissen wurden bemüht um letztlich die am Tag X stattgefundene Repressionsmaschinerie im Vorhinein zu legitimieren.
Das Demonstrationsverbot, in Sachsen auch über die bundesdeutsche Geschichte hinaus schon ein tradiertes Unterdrückungswerkzeug, sollte dann also die großen Krawalle verhindern.
Glücklicherweise ließen sich nicht all zu viele Menschen von den Drohgebärden des Staates abschrecken. Schon am Mittwoch hatten die Bullen alle Hände voll zu tun, um ihre Kontrolle über die unzähligen solidarischen Menschen auf den vielen Solidemos in ganz Deutschland und darüber hinaus zu behalten.
Trotz dass die Bullen in Zusammenarbeit mit Staatsanwält:innen und Richter:innen mehr als tausend Menschen in einem Kessel zusammenpferchten, konnten sie weder am Freitag noch am Samstag völlig die Kontrolle über die Stadt behalten.
Wir danken allen, die in diesen Tagen auf vielfältige Weise ihre Solidarität auf die Straße getragen haben!
Viel Kraft an alle, die von Repression betroffen waren bzw. sind! Ihr seid nicht alleine!
Nichts ist zu Ende!
Der Mammutprozess in Dresden ist nur der erste im Komplex rund um die vermeintliche kriminelle Vereinigung, die Nazis in Eisenach und Co. angegriffen haben soll. Weitere werden folgen und er reiht sich ein in viele weitere Verfahren gegen antifaschistische, linke und anarchistische Menschen und Strukturen. Die hohen Haftstrafen lassen befürchten, dass der Staat nun nicht nur einmal seine Zähne zeigt, sondern einen Präzedenzfall schafft, auf den sich in Zukunft auch rangniedrigere Gerichte beziehen können, um Verurteilungen nach § 129 und vergleichbare Haftstrafen gegen Linke aussprechen können.
Viele Fehler, die sich nicht zuletzt in diesem Verfahren offenbarten, müssen reflektiert und aufgearbeitet werden, um die Angriffe des Staates abwehren zu können.
Zuletzt möchten wir an dieser Stelle noch ein großes Dankeschön an alle solidarischen Menschen aussprechen. Unzählige Genoss:innen sind regelmäßig mit nach Dresden zum Oberlandesgericht gefahren, um den Prozess zu beobachten und die angeklagten Antifaschist:innen nicht alleine zu lassen. Viele Solidaritätsaktionen sind organisiert wurden. Vorträge wurden gehalten, um über das Verfahren und seine Auswirkungen zu informieren, auf vielen Kundgebungen und Demos wurden Wut und Kritik an den Verhältnissen auf die Straße getragen. Aus guten Gründen wurde auch solidarische Kritik am Solibündnis geübt, mit der wir uns weiterhin auseinandersetzen.
All das ist keine Selbstverständlichkeit und verbleibt leider viel zu lange ungesehen und zu wenig wertgeschätzt.
Danke!