Mitschrift vom Opening Statement der Verteidigung von Lina zur Prozesseröffnung am 8. September 2021. Ergänzend sei auf das gemeinsame Opening Statement der Verteidigung verwiesen (Link zur Mitschrift).
„Besonders betroffen von der Vorverurteilung durch Anklagebehörde und Presse ist unsere Mandantin Lina E.
Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft hat uns mit der Verlesung der Anklageschrift ihre Sicht der Dinge, ihre Bewertung der Ermittlungsergebnisse dargelegt. Sie hat ihre Konstruktion einer angeblichen linksextremistischen antifaschistischen Vereinigung dargelegt, in der unserer Mandantin eine führende Rolle eingenommen haben soll.
In den nächsten Monaten wird zu überprüfen sein, wie belastbar die Thesen der Bundesanwaltschaft sind. Wird für jeden einzelnen Fall genauestens zu untersuchen sein, wie einzelne Indizien zu bewerten sind. Es wird intensiv zu diskutieren sein, welche Aussagekraft etwa eine DNA-Spur besitzt, wem bestimmte Gegenstände zugeordnet werden können, welche Hinweise es zur Frage gibt, welche Personen an bestimmten Tatorten anwesend waren und ob tatsächlich zwischen einzelnen Geschehnissen ein Zusammenhang in der Form besteht, dass eine Vereinigung i.S.d. Gesetzes für die einzelnen Taten verantwortlich ist.
Es mag lapidar klingen, eine Selbstverständlichkeit sein: auch in diesem Verfahren gilt die Unschuldsvermutung. Auch in diesem Verfahren ist unsere Mandantin bis zum Zeitpunkt einer möglichen rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig anzusehen.
Warum weisen wir auf diese Selbstverständlichkeit hin?
Dieses Verfahren ist politisch erheblich aufgeladen. Das zeigt sich bereits daran, dass wir in einem Hochsicherheitsgebäude verhandeln müssen, das für Terrorismusverfahren gebaut worden ist.
Bereits mit dieser Örtlichkeit wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass es um ein Verfahren gegen vermeintlich für die Allgemeinheit hochgefährliche Angeklagte geht.
In der Öffentlichkeit – das zeigt auch das immense Medieninteresse – wird dem Verfahren eine über den konkreten Verfahrensstoff hinausgehende erhebliche Bedeutung zugemessen. Es wird diskutiert, ob die u.a. den Angeklagten zugerechneten Angriffe Ausdruck einer politischen Entwicklung seien, welche mit den Worten der „Weimarer Verhältnisse“ beschrieben werden könnten. Also einer Geschichtsklitterung das Wort geredet, in der das gegenseitige Hochschaukeln von rechter und linker Gewalt ursächlich für das Scheitern der Demokratie und für die faschistische Machtübernahme im Jahre 1933 gewesen sein soll.
Ein weiteres Mal wird die Hufeisentheorie, nach der Rechtsextremismus und Linksextremismus letztlich zwei Seiten einer Medaille seien, bemüht. Es findet eine vollkommen undifferenzierte und geschichtsvergessene Gleichsetzung von rechts und links statt.
Politisch interessierte Kreise basteln seit längerer Zeit daran, Geschichte umzuschreiben und rechte Gewalt zu relativieren. Und dieses Strafverfahren soll ihnen eine Plattform bieten, auf der sie ihre kruden Ideen verbreiten. Auf der Folie dieses Verfahrens soll ein trübes politisches Süppchen gekocht werden, soll dieses Verfahren für rechte politische Interessen nutzbar gemacht werden.
Dabei ist die öffentliche Diffamierung unserer Mandantin beispiellos, findet eine Vorverurteilung statt, die ihresgleichen sucht.
Es soll hier keine allgemeine Medienschelte betrieben werden. Es wurden in den letzten Wochen und Monaten durchaus auch viele seriöse und differenzierte Berichte veröffentlich. Was wir mit dem Begriff der Vorverurteilung, mit dem Versuch, aus unserer Mandantin eine brutale und skrupellose Unperson, eine Feindperson, zu machen und sie mit rechtsradikalen Mördern auf eine Stufe zu stellen, meinen, möchten wir beispielhaft an einem Artikel der Zeitschrift Focus verdeutlichen.
Unter der Überschrift:
„Deutschlands gefährlichste Straftäterinnen
Frauenknast extrem – NSU-Killerin und Gewalt-Linke Lina E. unter einem Dach“
wird hier vom Focus der Versuch einer Vergleichbarkeit zwischen der rechtskräftig verurteilten vielfachen terroristischen rechtsradikalen Mörderin Beate Zschäpe und unserer Mandantin unternommen.
Wörtlich heißt es:
„Die skrupellose „Nazi-Braut“ Beate Zschäpe und die offenbar brutale Linksextremistin Lina E. unter einem Dach, vielleicht sogar nur wenige Haftzellen voreinander entfernt – wie funktioniert das?“
Da wird jede Zurückhaltung aufgegeben, da gibt es kein Fragezeichen mehr, da wird das mediale Urteil schon gesprochen, bevor der erste Zeuge gehört worden ist. Da findet unter dem Klammerbegriff des „Polit-Extremisten“ genau die Gleichsetzung und die Vorverurteilung statt, die wir meinen. Da hat die Verurteilung praktisch bereits stattgefunden.
Frau E. wird als die „gefährlichste Linksextremistin Deutschlands“ bezeichnet. Bereits 2 Wochen nach ihrer Festnahme erscheinen Zeitungsartikel mit einer ausführlichen Darstellung privater Details aus dem Leben unserer Mandantin. Dabei wird nicht einmal ansatzweise versucht, die Identität von Lina E. zu verschleiern. Es wird über ihren persönlichen Werdegang und ihr Privatleben berichtet und damit massiv in ihre Persönlichkeitsrechte eingegriffen. Nicht selten erfolgen die Angaben dabei unter Hinweis auf „Informationen aus Polizeikreisen“.
Es werden Bilder aufgerufen, in denen die äußere Erscheinung unserer Mandantin in einen Zusammenhang mit den ihr vorgeworfenen Straftaten gestellt werden. In sexistischer Art und Weise wird ausführlich über die Länge ihres Rockes oder die Farbe ihrer Fingernägel berichtet wird. So, als sei das Erscheinungsbild der Frau E. angesichts der angeklagten Straftaten als besonders perfide anzusehen. So, als ob sie versuche, ihren bösen Charakter unter einer schönen Maske zu kaschieren.
Beispiele dafür gibt es zu Hauf. Hier nur eine kleine Auswahl
„Ihre Strafakte ist länger als ihr Minirock“ – BILD
„Für manche war sie die schöne, schlanke Studentin mit den dunkelblonden langen Haaren. Für den Generalbundesanwalt ist sie die Anführerin eines hochorganisierten Schlägerkommandos.“ Tag 24
„Chefchaotin im Minirock zum Richter“. BILD
An dieser Form der Inszenierung und öffentlichen Darstellung unserer Mandantin trägt die Bundesanwaltschaft nach unserer Auffassung eine direkte Mitverantwortung.
Das Bild, welches von unserer Mandantin vielfach gezeichnet wird, beruht maßgeblich auf den Fotos der Verbringung der gefesselten Lina E. in einem Polizeihelikopter, umringt von maskierten und schwerbewaffneten Elitepolizisten. Es sind die Bilder ihrer Verbringung zur Vorführung bei dem Bereitschaftsrichter des BGH in Karlsruhe am 6. November 2020.
Die Inszenierung dieser Vorführung, die Art und Weise, in der Lina E. nach Karlsruhe gebracht worden ist, transportiert eine klare Botschaft: Hier muss es sich um eine gefährliche Schwerstverbrecherin handeln, bei der derartige Maßnahmen unumgänglich sind. Mit diesen Bildern werden Assoziationen zu vergleichbaren Aufnahmen von islamistischen oder rechtsradikalen Mordverdächtigen und Terroristen aufgerufen.
Offensichtlich ist die Presse vorab darüber informiert worden, dass unsere Mandantin nach Karlsruhe verbracht wird. Als sie dort ankommt, warten die Pressefotografen bereits. Wer diese informiert hat, ist nicht bekannt.
Auffällig ist jedoch, dass immer wieder Informationen über das Verfahren an die Presse durchgestochen werden.
So veröffentlicht etwa die Tageszeitung „Die Welt“ am 13.11.2020 einen Artikel, welcher zahlreiche Details aus den Ermittlungsakten gegen unsere Mandantin enthält. Der „Welt“ liegen erkennbar zumindest Teile der Ermittlungsakte vor. So findet sich in dem Artikel etwa auch ein wörtliches Zitat aus dem Einleitungsvermerk der Bundesanwaltschaft.
Mit diesen Durchstechereien wird die einseitige Sichtweise der Ermittlungsbehörden in der Öffentlichkeit verbreitet. Die Verteidigung hat in diesem Zusammenhang bereits am 21. 12 2020 Strafanzeige erstattet.
Die öffentlich stattfindende Vorverurteilung unserer Mandantin, ihre Präsentation als Schwerstverbrecherin und die illegale Weitergabe von Informationen an die Presse berührt zentrale Grundsätze des fairen Verfahrens.
Im Laufe dieses Verfahrens wird also nicht allein über die Anklagevorwürfe des Generalbundesanwalts zu sprechen sein. Erörtert werden muss auch der öffentliche Umgang mit der Persönlichkeit unserer Mandantin.
Und es wird darüber zu sprechen sein, welche Behandlung unsere Mandantin seit ihrer Inhaftierung vor mehr als 10 Monaten erfährt.
Beispielhaft soll dies am Umgang mit der schweren Erkrankung unserer Mandantin dargestellt werden.
2019 wurde bei Frau E. eine chronische rheumatoide Arthritis festgestellt. Aufgrund dieser Erkrankung werden die Knorpel- und Gelenkzellen der Gelenke angegriffen. Es kommt zu erheblichen Schmerzen, Schwellungen und Funktionseinschränkungen insbesondere an den Händen und Füßen. Es besteht die konkrete Gefahr fortschreitender Knochendestruktion und bleibender Gelenkschäden.
Der Gesundheitszustand von Frau E. hat sich seit ihrer Inhaftierung deutlich verschlechtert. Dies hat sie gegenüber dem medizinischen Dienst und der Anstaltsleitung auch immer wieder deutlich gemacht und auf einer fachärztlichen Untersuchung bestanden. Am 21. April 2021 – also mehr als ein halbes Jahr nach ihrer Inhaftierung – sollte dann ein erster Untersuchungstermin bei einer Chemnitzer Fachärztin stattfinden. Just an diesem Tage aber wurde Frau E. aufgrund einer Haftbefehlserweiterung erneut dem Ermittlungsrichter beim BGH vorgeführt. Danach dauerte es dann annähernd 2 weitere Monate, bis endlich die Ausfahrt zur Ärztin stattfinden konnte. Die Beschwerden unserer Mandantin hatten sich bis dahin massiv verschlechtert und ausgeweitet. Die Haftzeit war von Schmerzen und gravierenden Bewegungseinschränken geprägt. Die Spätfolgen dieser verzögerten Behandlung bleiben abzuwarten.
Die Ausfahrt zur Fachärztin glich dabei dem Transport einer Schwerverbrecherin: nicht nur, dass die Fahrten von 2 polizeilichen Sondereinheiten begleitet wurden. Die bewaffneten Beamten ließen es sich auch nicht nehmen, Frau E. bis ins Behandlungszimmer zu begleiten und an dem Arztgespräch teilzunehmen.
Da ist sie wieder, die Sonderbehandlung, der vorverurteilende und feindstrafrechtliche Umgang, bei dem noch nicht einmal zentrale Persönlichkeitsrechte wie die Vertraulichkeit des Arztgespräches gewahrt werden. Bei der vermeintliche Sicherheitsinteressen vor dem Anspruch auf angemessene ärztliche Behandlung gestellt werden. Mit dieser Art und Weise der Behandlung findet eine Entrechtung unserer Mandantin statt, eine Entziehung von Grundrechten, die nichts mehr mit der Verfolgung von Straftaten zu tun hat, sondern mit der ein Mensch zur Feindin gekennzeichnet wird.
Die Verteidigung hat die Erwartungshaltung an das Gericht, dass sich dieser Umgang mit unserer Mandantin vor Gericht nicht wiederholen wird.
Wir erwarten, dass sich der Senat von den Bildern, die von unserer Mandantin in der Öffentlichkeit produziert worden sind, freimachen kann und Frau E. hier mit einem fairen Verfahren rechnen kann.
Erkan Zünbül, Rechtsanwalt
Ulrich von Klinggräff, Rechtsanwalt“