Am 13. April wurde eine Genossin als Zeugin geladen, um im Prozess gegen die vier Angeklagten am OLG Dresden auszusagen. Nachdem sie zuvor ausgefallen war, erschien sie nun zu ihrer zweiten Vorladung mit Zeug:innenbeistand. Dieser stellte direkt zu Beginn der Befragung klar, dass sich die Zeugin auf ein vollumfängliches Aussageverweigerungsrecht nach §55 berufen werde und daher nicht aussagt. Nachdem der Vorsitzenden Schlüter-Staats schon in vorangegangenen Vernehmungen klar zu verstehen gab, dass er ein Aussageverweigerungsrecht in Bezug auf den § 129 nicht vollumfänglich gelten lassen werde, kam der raue Ton nicht unerwartet.
Die Genossin wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens angeblich bei einer Observation identifiziert. Sie sollte Angaben zu einer weiteren, nicht beschuldigten, Person machen. In der unweigerlich folgenden Diskussion machte der Zeug:innenbeistand deutlich, dass es keine Fragen gibt, mit denen sich die Zeugin nicht potentiell selbst belasten würde. Es liegt in der Natur der Strukturermittlung, wie sie viele von uns immer wieder erdulden müssen: Bei Verfahren nach § 129 ist davon auszugehen, dass Personen allein aufgrund von Kennverhältnissen in Ermittlungen hineingezogen werden. Die Verteidigung unterstrich die Problematik am Beispiel eines der Angeklagten, gegen den aufgrund derselben Observation, wegen der auch die Zeugin nun aussagen sollte, ein Verfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet wurde. Dieses Vorgehen hat Tradition in Sachsen: Allein in den letzten 10 Jahren wurden im Rahmen von drei § 129-Verfahren hunderte Personen überwacht. Zu einem großen Teil waren den Maßnahmen Telefonkontakte zu Beschuldigten voraus gegangen. Im sogenannten „Wurzen“-Verfahren quittierte die Soko LinX ein einzelnes Telefonat zwischen einem Verdächtigen und einem jetzt ebenfalls Beschuldigten mit einer Hausdurchsuchung zzgl. DNA-Entnahme.
Aktuellen werden in diversen Bundesländern Verfahren nach den § 129 und 129 a geführt, bei sämtliche, zur Verfügung stehende, Mittel eingesetzt werden, um Strukturen zu durchleuchten und möglichst viele Erkenntnisse zu gewinnen. Die Liste solcher Schweinereien ist lang, das Muster bleibt das Gleiche: Es geht fast immer um die Ausweitung von Ermittlungen auf Grundlage einfacher Indizien. Mit den bekannten Folgen: Ausspähung, Konstruktion von Tatvorwürfen, eingerammte Türen, Erfassung in DNA-Datenbanken und vielem mehr.
Wie sich in diesem Kontext auch eine Aussage während eines laufenden Verfahrens nach § 129 für Zeug:innen auswirken kann, haben wir im Antifa Ost-Verfahren bereits erlebt, wo selbst Faschisten als Beispiel für die Niedertracht der Bundesanwaltschaft herhalten: Als Geschädigte geladene Nazis aus Eisenach mussten im Zeugenstand vor dem Oberlandesgericht Aussagen zu verschiedenen rechten Gruppen tätigen, mit denen sie in Verbindung stehen oder standen, wie „Knockout 51“ oder „Nationaler Aufbau Eisenach“. Parallel dazu führte die Bundesanwaltschaft schon längst gleich mehrere Verfahren nach § 129 gegen einige der geladenen Nazis. Nachdem diese sich im Sinne der Ermittlungen im Zeugenstand selbst belastet haben, wurden die Verfahren mit einer Welle an Razzien und Festnahmen, auch von zwei der vorherigen Zeugen, wenige Wochen später öffentlich – surprise.
Auch diese Argumentation konnte den Vorsitzenden nicht davon abbringen, der Zeugin mit Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft zu drohen – ohne Erfolg. Die Zeugin und ihr Beistand blieben standhaft und sie kassierte, aufgrund der Aussageverweigerung, ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro, bevor sie entlassen wurde.
Auf dem Weg nach draußen drehte sich die Zeugin noch einmal um und präsentierte ein „Free Lina“-Shirt, das sie unter ihrem Pullover getragen hatte. Diese wunderschöne solidarische Geste wurde aus den Reihen der Zuschauenden mit viel Applaus begrüßt. Viele der solidarischen Prozessbegleiter:innen trugen Nickis mit der Aufschrift „Anna“ oder „Arthur“. Wie auch der Vorsitzende äußerst wütend feststellte, bezogen wir uns damit auf „Anna und Arthur halten’s Maul“. Denn die Repression meint uns alle, aber wir halten zusammen und solidarisieren uns mit den Schweigenden. Was im Dresdner Hochsicherheitssaal ein umgehendes Verbot des Nickis zur Folge hatte. Aber wir pfeifen drauf!
Unsere Solidarität ist stärker als ihre Repression!