Wir veröffentlichen hier einen Redebeitrag der Soligruppe Weimar zur Urteilsverkündung:
Unsere Solidarität mit der antifaschistischen Praxis gegen militante Nazistrukturen
Vor 3 1/2 Jahren wurden Gefährt*innen von uns in der Nähe von Eisenach verhaftet & wenig später wieder freigelassen. Der Vorwurf: Die Beteiligung an dem Angriff auf den Neonazi Leon Ringl & sein unmittelbares Umfeld.
Absolut aus dem Kontext der alltäglichen, neonazistischen Bedrohung gegriffen, versucht der Staat die Legitimität antifaschistischer Gegengewalt anzugreifen. Die Notwendigkeit antifaschistischer Praxis, die Grundlage dieses Verfahrens, beginnt nicht mit einem Angriff auf eine Kneipe namens „Bull’s Eye“, geschweige denn mit dem Angriff auf Leon Ringl selbst. Es dreht sich um eine Region, in der Nazis seit Jahrzehnten schalten & walten konnten, wie es ihnen beliebt. Erst das konsequente Eingreifen hat zumindest vorübergehend für Verunsicherung unter den Nazis gesorgt & stellte einen Bruch mit dem, von Gewalt geprägten, Alltag rund um den selbsternannten Nazikiez dar.
Wir wollen heute sowohl über die Relevanz antifaschistischer Gegenwehr sprechen, sowie an die Nazistrukturen & die alltäglichen Zustände, vor allem im Osten der Republik, erinnern. Wir stellen uns solidarisch an die Seite unserer Gefährt*innen, die von dem deutschen Staat aufgrund antifaschistischer & rebellischer Praxis verfolgt, eingesperrt & verurteilt werden.
Das Verfahren in Dresden: Eine politische Inszenierung der „Wendeprofiteure“
Die Anklage jenes 129-Verfahrens gegen unsere Gefährt*innen steht sinnbildlich für einen gesellschaftlichen Bruch.
Es zeigt deutlich auf, dass Behörden ermittelt haben, die nicht nur in vermeintlichen Einzelfällen Bezüge zu faschistischen Strukturen haben, sondern kontinuierlich nah und eng verbunden mit Nazis sind. Der Ermittlungsdruck auf die SOKO Linx ist derart groß, dass sich unter allen Umständen, auch fernab der Beweisführung, an den selbsternannten „Ermittlungserfolg“ geklammert wird.
Umso schwerer wiegt, dass die meisten der Richter*innen und Anklagenden sicher nie einen Hauch der ostdeutschen Zustände spüren mussten. Vielmehr sind es jene, die von den Wirren der Wende profitierten, hochdotierte Jobs in Karlsruhe oder luxuriöse Einfamilienhäuser in Dresden-Radebeul haben. Dort wo sich sicher selten ein Neonazi hin verirrt und ihnen – die in der Postwende-Zeit etablierten Nazistrukturen – kaum gefährlich werden.
Seit jeher werden Antifaschist*innen mit derartigen Konstrukten konfrontiert, mit allen Ermittlungsbefugnissen verfolgt und bestraft, wohingegen mörderische Nazis weiterhin als verwirrte Einzeltäter und ein Phänomen behandelt werden, welches nicht Ernst genommen wird. Das wird auch hier deutlich, wo das Gericht sich permanent weigerte, die Lebensgeschichte der militanten Neonazis zu beleuchten. Ein weiteres Zeichen für die Arroganz und Ignoranz der Justiz gegenüber den Realitäten der ostdeutschen Provinz. Die Bundesanwaltschaft begründete in ihrem Plädoyer die Gewalt der Nazis vor allem mit der antifaschistischen Gegenwehr und machte sich damit frei von der gesellschaftlichen Verantwortung für die gewaltvolle rechte Hegemonie.
Es verwundert also nicht, dass der Prozess gezeichnet ist von, im Sinne der Anklage interpretierten, Indizien, welche wie Beweise behandelt werden.
Begünstigt wurde das Verfahren durch eine Gesetzesänderung des Paragrafen §129 im Jahre 2017, welche noch einmal deutlich die Schwelle für eine Anklage & Verurteilungen gesenkt hat. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass dies ein Naziparagraf ist, welcher schon immer widerständige & antifaschistische Strukturen angreifen & zerschlagen sollte. Eine Konsequenz der Verurteilung in Dresden wird sein, dass rebellische Strukturen in Zukunft deutlich früher angreifbar sind. Der hiesige Prozess, wirkt wie ein Testlauf für die massenhafte Anwendung eines Paragrafen & damit einhergehenden möglichen Verurteilungen. Ein Blick auf diverse aktuell laufende 129-Verfahren in der Republik bestärkt diese Annahme. In den kommenden Jahren werden sich Staatsanwaltschaften und Gerichte immer wieder auf das hiesige Urteil beziehen und sich damit zufrieden geben, dass ein paar Indizien genügen, um mehrjährige Haftstrafen abzusichern. Eine kollektive politische Haltung reicht aus, um in ein solches Konstrukt gepresst zu werden.
Mit einer überragenden Inszenierung und sexistischen Stereotypisierung der Angeklagten, insbesondere Linas, während des Prozesses, haben sich die reißerischen Presseartikel von Welt, Bild & den anderen wie aus einer Feder mit Compact gelesen.
Das alles können wir nicht unbeantwortet lassen. Der Staat hat aus einer autoritären Haltung heraus heute ein Urteil gefällt & damit all jene angegriffen, die täglich dem rassistischen & faschistischen Normalzustand entgegenstehen & sich nicht mit der Lüge der heilen bürgerlichen Welt zufrieden geben.
Thüringer Realität
Eisenach hat gezeigt, wohin das Wegducken, Resignieren & Beschwichtigen in einer Stadt, bei ihren Bullen und Bewohner*innen führt: Die Nazis sind bis zum Intervenieren antifaschistischer Kräfte 2019 sehr aktiv gewesen. Die neonazistischen Angriffe haben Kontinuität. Die Kriegsträume der Nazis blieben nicht in ihren Köpfen. Dauerhaft bewaffnet stellten die immer gleichen Personen um Leon Ringl & Kevin Noeske in den letzten Jahren eine konstante Bedrohung dar. Geholfen hat dabei immer wieder die NPD in Form von Patrick Wieschke, der mit dem „Flieder Volkshaus“ seine Immobilie für Konzerte & Treffen des „nationalen Aufbaus Eisenach“ zur Verfügung stellte. Dutzende Jugendliche schlossen sich ihnen an: Kampfsport, Mitschüler*innen einschüchtern, eine rassistische Gemeinschaft prägen – All das hat sich in Eisenach verselbstständigt. Viele lokale Verfahren, wie die gegen Kevin Noeske, glichen einer Farce und ebneten den Eisenacher Nazis den Weg, zum absoluten Hotspot rechter Gewalt zu werden.
Dabei ist diese Entwicklung nur ein weiterer Teil der Geschichte neonazistischer Gewalt in Thüringen. Seit der Selbstenttarnung durch das NSU-Kerntrio hat sich auch das Bild vieler junger Menschen verändert. Die gesellschaftliche Vorstellung, Neonazis seien harmlos, konnte nicht mehr gehalten werden. Der NSU steht aber wie kaum ein anderer Fall für das Versagen des gesamten Staatsapparates – Vertuschte Treffen, geschredderte Akten, dubiose Zahlungsflüsse, das Zurückhalten von Informationen sowie die nicht stattgefundene Aufklärung. Der Staat hat im Kampf gegen Nazis nicht nur versagt, er sorgt mit Geld und dem Verfassungsschutz dafür, dass sich Neonazis von saufenden Jugendlichen zu mörderischen Gruppen entwickelt können.
Ein weiteres Beispiel für das Versagen sind die Turonen. Diese sitzen derzeit zwar mehrheitlich aufgrund des Überfalles auf die Ballstädter Kirmesgesellschaft in Haft, haben aber mit ihren Verbindungen & internationalen Konzerten den Anspruch, eine militante & faschistische Gruppe zu sein.
Über Jahrzehnte hinweg, haben uns diese Vorgänge deutlich vor Augen geführt, dass antifaschistische Praxis außerhalb des Staatsapparates & in Widerspruch zum Staat selbst stehen muss. Denn unüberwindbar sind die Gegensätze zwischen jenen, die in unserer Gesellschaft vermeintliches Recht sprechen & unseren Erfahrungen mit der Thüringer Realität.
Repression & Widerstand
Nun manifestiert sich eine schon länger anhaltende Repressionswelle. Seien es die Hausdurchsuchungen in Weimar im Zuge des 129-Verfahrens 2020 oder die heftigen Razzien in diesem Jahr in Jena im Zusammenhang mit weiteren Angriffen auf Nazistrukturen.
Diese Zuspitzung der Qualität der Repression wird uns in den kommenden Jahren noch stark beschäftigen. Daher senden wir solidarische Grüße an die Gefangenen in Ungarn & die Verfolgten durch die deutschen Behörden!
Ein Grußwort zum Schluss
Wie das hier verhandelte Verfahren zeigt, braucht Antifaschismus immer auch eine klar feministische Haltung gegen den faschistischen & patriarchalen Normalzustand.
Wir sind solidarisch mit den Angeklagten hier in Dresden, mit den Antifaschist*innen, deren Prozesse noch anstehen & denjenigen, welche im Knast sitzen. Wir drücken & grüßen euch ganz fest, auf dass wir diese Welt & ihre Mauern einreißen.
Wir senden Kraft an alle Widerständigen & Antifaschist*innen, die sich tagtäglich mit Schweinen, Nazistrukturen & dem Patriarchat auseinandersetzen und sich nicht unterkriegen lassen.
Freiheit für Lina! Freiheit für alle!
Aus der dunkeldeutschen Provinz grüßt die Soligruppe Weimar