Wir zitieren hier einen Text der Leipziger Gruppe von „Rassismus Tötet!“, der am 13.12. auf ihrer Seite veröffentlicht wurde:
„Vier Genoss*innen sitzen seit über einem Jahr auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden; unsere Genossin Lina ist sogar bereits seit über zwei Jahren in U-Haft. Mit diesem Statement wollen wir unsere Solidarität gegenüber Euch, den beschuldigten Antifas, euren Angehörigen und Freund*innen sowie euren Soli-Strukturen ausdrücken. Eigentlich wollten wir dieses Statement schon viel früher veröffentlichen, aber immer wieder gab es unterschiedliche Gründe abzuwarten.
Wir wollen ihn jetzt veröffentlichen, weil wir uns an jene Menschen wenden wollen, die seit über zwei Jahren viel Arbeit leisten und mit unterschiedlichen Situationen umgehen müssen, die viel Kraft abverlangen, aber selten wahrgenommen werden.
Free all Antifas
Liebe Angeklagte, wir wünschen euch viel Kraft und Durchhaltevermögen im Prozess. Vor allem dir, Lina, wünschen wir Freiheit und Glück, auf dass wir dich bald wieder in der linken Bewegung und im Kampf um eine emanzipatorische Welt zurück haben werden! Selbiges gilt auch für die drei weiteren Angeklagten, auch mit euch wollen wir diesen Kampf weiterführen – schnellstmöglich. In den Zeiten innerhalb wie außerhalb des Knastes, in denen ihr einsam und traurig seid: Seid euch auch sicher, dass ihr nicht allein seid: Wir stehen hinter, wir stehen zu euch!
Support the Supporters
Liebe Angehörige und Freund*innen der vier angeklagten Genoss*innen, euch gilt unser Respekt für den Umgang mit dieser Situation in der geliebte Menschen angeklagt sind, entführt und weggesperrt wurden oder möglicherweise bald weggesperrt werden. Euer Wirken ist zumeist nicht sichtbar, zu selten werdet ihr gefragt, wie es euch geht und wobei ihr Unterstützung gebrauchen könntet. Wir danken euch für euer Dasein, und eure Unterstützung, die eben nicht nur den vier angeklagten Genoss*innen gilt, sondern wir sehen und spüren, dass eure Unterstützung auch darüber hinausgeht und eine Ideelle ist:
Ihr wendet euch nicht von linken und antifaschistischen Strukturen ab, sondern seid offen, interessiert und solidarisch für unsere Kämpfe, die wir nunmehr sogar zusammen kämpfen.
Auch an die aktiven Genoss*innen und Gefährt*innen des Solidaritätsbündnis Antifa Ost (SAO) sowie allen Soli-Strukturen, die im Zusammenhang mit dem Antifa Ost-Verfahren bestehen: Danke für euer Wirken! Ihr macht eine enorm wichtige Arbeit, die beeindruckend kontinuierlich, informativ und für weitere Analysen unglaublich wichtig ist. Ebenso gilt es jenen Strukturen und Kampagnen zu danken, die sich mit dem Prozess und seinen Auswirkungen auf die linke Bewegung befassen, sich solidarisch, aber ebenso kritisch zu den Soli-Strukturen verhalten und mittels diverser Veranstaltungsformate eine Auseinandersetzung zu verschiedenen Themenkomplexen forcieren.
Einer dieser Themenkomplexe behandelt Repression, Solidarität und sexualisierte Gewalt. Wir haben den nun endlich öffentlich gemachten Prozess innerhalb des SAO und den mit diesem assoziierten Zusammenhängen wahrgenommen. Wie viele, waren auch wir enttäuscht vom langen Schweigen zu übergriffigen Tätern und Täterschutz in linken Strukturen. Die aktuellen Veröffentlichungen können dabei jedoch nur ein erster Schritt sein. Sie erlauben uns und vielen anderen eine berechtigte Skepsis daran, dass nicht wenige Cis-Männer in diesen Zusammenhängen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem eigenen übergriffigen Verhalten und ihrem Täterschutz weiterhin vermissen lassen. Darüber hinaus scheint es den Cis-Männern an einer erkennbaren und ernstzunehmenden Reflexion im Umgang mit den sie umgebenden FLINTA zu fehlen – auch das zeigt das Statement des SAO genau an den Stellen, wo diese Momente nicht näher thematisiert oder gar ausgelassen werden.
Danke¹⁶¹
Wir wollen hier keine tiefgreifende Analyse über die Zustände im Hinterland und die Notwendigkeit von praktischem Antifaschismus, seiner Formen und seiner Grenzen liefern. Uns geht es schlicht und ergreifend darum, unsere Solidarität mit den Angeklagten, die gerade in Dresden vor Gericht stehen und den immer weiteren Kreis an Beschuldigten eines Antifaschismus in Kaltland, zu zeigen. Wir stehen hinter euch, weil uns bewusst ist, dass eine Intervention gegen Neonazis – gerade in Sachsen oder Thüringen – nicht nur aus der Teilnahme an Lichterketten bestehen kann.
Es galt und gilt Neonazis gezielt etwas entgegenzusetzen.
An dieser Stelle Danke an alle, die an Interventionen gegen Faschos beteiligt waren und sind. Danke dafür, dass ihr Faschos – zumindest zeitweise – in ihre Grenzen gewiesen habt, ihnen gezeigt habt, dass ihr Handeln nicht ohne Folgen bleibt. Gerade weil wir davon ausgehen müssen, dass es an ihren Wohnorten selten Widerspruch gibt und rechte Gewalt dort Alltag für all jene ist, die ins Feindbild der Neonazis passen.
Euch braucht es – notwendigerweise. Gleichzeitig braucht es aber auch eine Auseinandersetzung darüber, dass Militanz in linksradikalen Zusammenhängen ein männlich gedachtes, aber auch sehr männlich geprägtes und dominiertes Feld ist, das viel zu häufig zu männlichkeitstriefenden Selbstinszenierungen einlädt.
Militanz als Selbstzweck ist kein Bestandteil emanzipatorischer Praxen, Militanz verstanden als bloße Ausübung von Gewalt ebenso wenig.
Ein Problem liegt jedoch nicht im militanten Agieren als solches, sondern in der Anerkennung, welche primär Cis-Männer dadurch erwarten und erhalten. Den Szene-Status, den sie sich vor allem durch andere Cis-Männer erhoffen, aber auch bekommen, bietet einen fruchtbaren Nährboden und Schutz für Cis-Männer, die in ihren privaten Umfeldern Gewalt zur Machtausübung und Unterwerfung anderer nutzen. Mit eben diesen Personen, möchten wir uns in diesem Statement ausdrücklich nicht solidarisieren.
Personen, die durch ihre misogyne Gewalt gegenüber FLINTA-Personen, deren seelische und körperliche Unversehrtheit angegriffen haben und dies vermutlich auch weiterhin tun werden, haben keine Form von Szenerückhalt verdient. Hier sprechen wir uns für klare Trennlinien aus, gerade weil die überwiegende Mehrheit der Täter und jene die sie decken, jegliche aktive und ernsthafte Aufarbeitung verhindern.
Stattdessen ist es uns wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass antifaschistische Interventionen, auch militante, immer eine Form von Einschreiten in gewaltvolle Zusammenhänge sind, mit dem Ziel diese zu zerschlagen, zu unterbinden und zu verunmöglichen und eben keine Form von Aufbau und Erhalt von andauernder Gewaltstrukturen.
Zum Schluss
Der Prozess vorm OLG Dresden wird irgendwann vorüber sein, unsere Kämpfe für eine bessere Welt nicht.
Wir werden auch weiterhin rechte Strukturen auf- und besuchen. Unsere Interventionen werden weitergehen, dort wo sie sich bewegen und sicher fühlen. Es gilt dem rechten Konsens entgegenzutreten und ihn zu brechen, überall.
Die Repressionsorgane gehen massiv gegen uns vor, weshalb wir vor allem solidarisch zueinander sein sollten und uns nicht vereinzeln lassen dürfen, wenn uns Hausdurchsuchungen, Anklagen, Verurteilungen oder Haftstrafen treffen. Wir müssen uns darauf einstellen und mit Genoss*innen und Freund*innen über etwaige Ängste und Wünsche reden. Ebenso gilt es für jene da zu sein, die von Repression betroffen sind sowie jene die aus dem Knast kommen, zu empfangen und wieder in unsere Strukturen einzubinden.
Kommt am Samstag nach der Urteilsverkündung im Antifa Ost-Verfahren zur Demonstration nach Leipzig und organisiert eigene Veranstaltungen zum Prozess / Tag der Urteilsverkündung.
Autonomen Antifaschismus verteidigen!„